
Die tragischen Geschehnisse in der Ukraine zeigen, was passiert, wenn aufgrund von wirtschaftlicher Abhängigkeit einem autoritären Machthaber keine klaren Grenzen aufgezeigt werden. Nachdem der Westen Putins Regime viele Jahre lang wiederholt auf globales Völkerrecht und Menschenrechte hingewiesen und das Verhalten des Kremls öffentlich kritisiert hat, ist nun letztendlich klar, welche Folgen es hat, diese Werte nicht auch mit klaren Handlungen zu verteidigen.
VON JULIAN DALBERG
Chinas Regierung, die bei dem Krieg in der Ukraine öffentlich sehr zurückhaltend auftritt, beobachtet den Umgang des Westens mit Russland genau. Denn die Situation in der Ukraine kann vom Pekinger Regime als Blueprint für die Folgen einer Annektierung Taiwans, die bereits mehrfach angedroht wurde, genutzt werden
Außerdem lässt sich Chinas Zurückhaltung vor allem mit wirtschaftlichen Interessen begründen. China möchte nämlich auf der internationalen Bühne nicht als gewaltbereiter Staat, sondern als globale Supermacht wahrgenommen werden, mit der man gute Geschäfte machen kann.
Immer wieder weist der Rest der Welt auf Chinas Menschenrechtsverletzungen, den Umgang mit der Selbstbestimmung von Taiwan, Hongkong und Minderheiten im eigenen Land hin und kritisiert diese öffentlich – jedoch ohne Erfolg. Das uigurische Volk wird weiterhin in Massen in Internierungslagern festgehalten, das tibetische Volk an der Ausübung seiner Kultur gehindert und unterdrückt. Andersdenkende werden in China diskriminiert und weggesperrt. Das widerspricht ganz klar unserer liberalen Weltordnung und zeigt die tragische Wahrheit von Chinas Minderheitenpolitik auf. Ähnlich hat man auch Russland zu lange nicht ernst genug genommen und zu schwache Sanktionen verhängt, was die jetzige Eskalation in der Ukraine mit ermöglicht hat. Dieser Fehler darf im Umgang mit China nicht wiederholt werden.
Die vorsichtige Haltung des Westens gegenüber China wiederum liegt vor allem am rasanten Aufstieg von China zu einer Weltmacht, von der der Rest der Welt ökonomisch zu abhängig geworden ist. Und diese Machtstellung nutzt Xi Jinping aus, um menschenrechtswidrige Handlungen im Inland sowie Aggressionen gegenüber Taiwan auszuweiten, bei denen sich der Westen nicht einzumischen habe
Die kommunistische Regierung propagiert öffentlich zwei Hauptargumente: zum einen Chinas innenpolitische Stabilität – damit wird versucht, die Umerziehung und Zwangshomogenisierung der Bevölkerung zu begründen –, zum anderen die Souveränität eines jeden Staates auf globaler Ebene – damit versucht das Regime zu rechtfertigen, weshalb sich andere Staaten, insbesondere der Westen, nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten seines Landes einzumischen hätten.
Letzteres führt logischerweise allerdings zu der Frage, weshalb das Pekinger Regime dann seinerseits die Souveränität von Taiwan und Tibet und die Autonomie von Hongkong nicht anerkennt. Das wird so begründet: In der Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas gelten sie als Teile Chinas.
Der Westen muss ein deutlicheres Signal geben, dass Grundsätze der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und des Friedens nicht nur Floskeln sind, sondern dass dem auch Taten folgen.
Deutlich wird Chinas globaler Machtanspruch an Xis großem Vorzeigeprojekt „Neue Seidenstraße“, das Chinas Weg zu einer etablierten Supermacht sein soll. Das Projekt der weltweiten Handelswege würde Chinas Machtrolle weiter festigen und zum Beispiel durch Kredite – vor allem an Entwicklungsländer – die Empfänger gegenüber ihrem Kreditgeber in enorme Abhängigkeit versetzen. Je mächtiger China wird, desto mehr Einfluss kann es ausüben, und umso weniger kann etwas gegen seine menschenverachtende Minderheitenpolitik getan werden.
Was also folgt daraus? Offensichtlich scheint: Der Westen muss ein deutlicheres Signal geben, dass weltpolitische Grundsätze der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und vor allem des Friedens nicht nur Floskeln sind, sondern dass dem auch Taten folgen. Es sollte also nach der Maßgabe, Menschenrechte und Freiheit über wirtschaftliche Interessen zu stellen, gehandelt werden. Um jedoch echte Sanktionen gegen Peking verhängen zu können, müssten sich freiheitliche und demokratische Staaten unabhängiger von China machen.
Deshalb sollte Europa seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren und seinen Handel mit rechtsstaatlichen Staaten ausweiten. Außerdem sollte die Beziehung mit Taiwan, der Demokratiebewegung Hongkongs sowie mit den Uiguren und Tibetern sowohl in China als auch im Exil gestärkt werden.
In Deutschland müsste wesentlich kritischer und konsequenter auf die Untaten des chinesischen Regimes hingewiesen werden, insbesondere auf Internetplattformen, wo das Pekinger Regime gezielt Fake News und Propaganda streut. Ebenso müssten sich deutsche Bildungseinrichtungen mit Schicksalen in und um Tibet befassen. Und an deutschen Universitäten sollte entschieden gegen die Einflussnahme der Kommunistischen Partei Chinas durch die Konfuzius-Institute vorgegangen werden. Nicht zuletzt ist es vor allem auch der Austausch mit hier lebenden Tibetern, Uiguren, Taiwanern und Hongkongern sowie chinesischen Regimekritikern, der zu einer nachhaltigen Sensibilisierung gegenüber Pekings Propaganda führt. Nur ein insgesamt kritischeres Bewusstsein im Umgang mit China kann einen politischen Kurswechsel gegenüber der Großmacht herbeiführen.

Julian Dalberg, 26 Jahre, in Aschaffenburg geboren, studiert Politikwissenschaft in Frankfurt am Main. Als Leiter der Asiengruppe des Internationalen Komitees der Jungen Liberalen e.V. engagiert er sich für Freiheit, Demokratie und den interkulturellen Austausch in Asien und setzt sich für eine kritischere Auseinandersetzung mit der Politik Chinas ein.
Last modified: 16. August 2022