Die Tibeterin Tenzin Choetso wuchs in Indien auf. Bis zur vierten Klasse lebte sie in einer tibetischen Internatsschule. Mit 14 kam sie nach Deutschland. Momentan macht sie ihr Abitur. Sie sagt: In Deutschland bin ich frei und versuche die tibetische Kultur zu bewahren.
VON TENZIN CHOETSO
Mein Name ist Tenzin Choetso. Ich bin im Oktober 2003 in Indien geboren und wohne seit Juli 2017 mit meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester in München. Davor habe ich mit meiner Oma in einem Dorf in Arunachal Pradesh an der indischen Grenze zu Tibet gelebt. Als China 1949 Tibet besetzte, musste meine Oma mit meiner Mutter nach Indien fliehen.
Seitdem konnten wir nicht mehr in unsere Heimat zurückkehren. Bis zur 4. Klasse lebte ich im Dorf Maio und besuchte danach die Internatsschule „Tibetan Homes School“ in Mussoorie bei Dehradun. Die tibetischen Schüler leben dort, weil es Familienprobleme gibt oder weil sie ohne Eltern aus Tibet nach Indien geflüchtet sind. Meine Eltern waren bereits in Deutschland, um unser künftiges Leben vorzubereiten. Im Internat wurden wir einem Haus und einer Ansprechperson zugeordnet, die sich um uns kümmerte. Besonders im ersten Jahr habe ich meine Familie sehr vermisst, weil wir nur während der Ferien nach Hause durften. Mit der Zeit habe ich jedoch neue Freunde kennengelernt. Ich habe dort eine sehr gute Bildung erhalten, die tibetische Kultur, deren Tanz und Musik kennengelernt und bin vor allem selbstständig geworden.
Als ich mit 14 nach Deutschland kam, musste ich mir zuerst die deutsche Kultur und Sprache aneignen. Glücklicherweise habe ich schnell Deutsch gelernt, habe 2020 den Hauptschulabschluss und danach die mittlere Reife geschafft. Jetzt mache auf einer Münchner Wirtschaftsfachoberschule mein Abitur. Ich interessiere mich für Wirtschaft und möchte eine erfolgreiche Geschäftsfrau werden oder im Bereich Marketing arbeiten. In meiner Freizeit arbeite ich beim bayerischen Landesamt für Statistik, Zensus. In Deutschland zu leben, fühlt sich sehr gut an, denn ich habe hier Freiheiten und gute Zukunftschancen. In Indien hätte ich trotz eines Studiums diese Möglichkeiten nicht gehabt.
Wir Tibeter in München treffen uns oft. Sonntags haben wir tibetische Schule, in der ich ab und zu tibetischen Tanz unterrichte. Ich finde es sehr wichtig, sich für Tibet einzusetzen und die Kultur zu bewahren. Die Kinder sollen nicht nur Tibetisch lernen, sondern auch ein Gefühl für unseren Tanzstil und unsere Musik bekommen. Obwohl immer mehr Tibeter nach Deutschland kommen, sind wir noch eine kleine Gemeinschaft, die versucht, die tibetische Sprache und Kultur aufrechtzuerhalten. Ich möchte unser Heimatland Tibet bald wieder zurückbekommen. Denn im Herzen sind wir Tibeter, im Exil verlieren wir aber allmählich die Beziehung dazu.
Last modified: 10. November 2022