
Ray Wong Toi-yeung ist Demokratie-Aktivist aus Hongkong. 2016 wurde er verhaftet und mit einer Haftstrafe von bis zu 10 Jahren bedroht. Im Interview spricht er über seinen Blick auf Hongkong aus dem Exil, Deutschlands Beziehungen zu China und seinen Kampf für Hongkongs Freiheit.
VON TENZYN ZÖCHBAUER
Weltweit wurden die Studentenproteste in Hongkong mitverfolgt. Wie war es für Dich, die Zerstörung der Demokratie in Hongkong mitzuerleben, welche Rolle hast Du bei den Protesten gespielt?
Da ich seit 2017 in Deutschland lebe, konnte ich mich leider 2019 nicht an den Protesten in Hongkong beteiligen. Ich erinnere mich noch sehr klar an meine damaligen Gefühle: zuerst Hoffnung, dann Wut, später Machtlosigkeit. Wie viele Hongkonger hatten wir große Hoffnungen, als eine Million Menschen auf den Straßen protestierten. Das bedeutete nicht, dass wir glaubten, das Regime würde uns hören, sondern wir glaubten an die Macht des Volkes und an die Solidarität. Als sich die Lage in Hongkong jeden Tag verschlimmerte, wurde ich sehr wütend. Ich war wütend, weil wir nicht die Gerechtigkeit erhielten, die jeder verdient. Ich war wütend, weil Peking sein Versprechen gebrochen hatte, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hatte. Für eine lange Zeit wurde ich von Machtlosigkeit geplagt. Während meine Kameraden auf den Straßen ihr Leben für unsere Heimatstadt riskierten, war ich in Deutschland; ich konnte nur Interviews geben und mit Politikern sprechen, um möglichst viel Hilfe von der internationalen Gemeinschaft zu gewinnen. Das ist natürlich eine wichtige Rolle, aber wenn man jeden Tag von der Festnahme und Verfolgung von Freunden hört, bekommt man ein schlechtes Gefühl für sich selbst.
Du wurdest in Hongkong wegen der Teilnahme an Protesten verhaftet. Kannst Du uns etwas über die Gründe und diese Zeit erzählen?
Seit 2014 bin ich aufgrund verschiedener Proteste mehrmals verhaftet worden. In den meisten Fällen erfolgte meine Festnahme aufgrund von „illegalen Versammlungen“. Diese Anklage wird von der Polizei oft verwendet, um Aktivisten festzunehmen, da die Definition sehr weit gefasst ist. Im Jahr 2016 organisierte meine Partei eine Aktion zum Schutz des Neujahrsmarktes (vergleichbar mit einem Weihnachtsmarkt in Deutschland), den die Regierung schließen wollte. Dieser Protest eskalierte aufgrund von Provokationen der Polizisten zu einer Konfrontation zwischen Polizei und Demonstranten. Daraufhin wurde ich wegen „Anstiftung und Teilnahme an einem Aufruhr“ angeklagt, eine Straftat, die mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden kann.
Wir müssen daher den Druck auf Deutschland aufrechterhalten und dazu aufrufen, seine Beziehungen zu China zu überdenken.
Nach Deiner Flucht musstest Du, ähnlich wie viele Tibeter, ein neues Leben im Exil aufbauen. Was ist für Dich und für junge Hongkonger daran das Schwierigste?
Ein Leben im Exil ist per se sehr schwierig. Zu verschiedenen Zeitpunkten erlebt man unterschiedliche Herausforderungen. Am Anfang sind definitiv das Erlernen der Sprache und die Integration die größten Schwierigkeiten. Ohne diese beiden Fähigkeiten kann man nicht beginnen, ein richtiges Leben aufzubauen. Später, wenn das Heimweh im Laufe der Zeit stärker wird, ist es eine große Herausforderung, dieses Gefühl zu überwinden. Ich habe ständig das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Diese tiefe Lücke in meinem Dasein wurde erst mit der Zeit gefüllt: nämlich nachdem ich ein Unterstützungsnetzwerk in meinem neuen Land aufgebaut hatte.
Ende Mai wurde die „Pillar of Shame“ („Säule der Schande“) des dänischen Künstlers Jens Galschiøt in Berlin vor dem Axel Springer Verlag aufgebaut. Die Säule stand viele Jahre in Hongkong als Gedenken an die Tausenden Opfer des Tiananmen-Massakers 1989 in Peking. Gemeinsam durften wir das Duplikat einweihen und orange bemalen. Wie war es für Dich, dieses Projekt zu unterstützen?
Die Aufstellung der „Pillar of Shame“ ist für mich von großer Bedeutung. Sie symbolisiert eine Realität: Was wir in der Vergangenheit in Hongkong tun durften, können wir heute nur noch im Ausland machen. Doch so einfach ist die Situation nicht. Die KPCh versucht sogar, uns hier in Deutschland weiter zu unterdrücken. Nur wenige Tage nach der Eröffnungszeremonie hat die chinesische Botschaft eine Pressemitteilung herausgegeben, die zahlreiche absurde Behauptungen aufstellt. Darunter die Behauptung, dass die Lage in Tibet, Ostturkestan (Chinesisch: Xinjiang), Hongkong und Taiwan lediglich Chinas „innere Angelegenheiten“ seien. Solche Staatspropaganda darf in Deutschland nicht verbreitet werden. Wir sehen uns daher verpflichtet, darauf zu reagieren und unseren Kampf für Freiheit und Demokratie – gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern aus China, Ostturkestan, Tibet und Taiwan – in Deutschland fortzusetzen.

Inzwischen bist Du politisch aktiv in Deutschland und hast den Verein „Freiheit für Hongkong“ gegründet. Was ist das Ziel des Vereins, und was kann Deutschland tun, um Euch bei Eurem Bestreben zu unterstützen?
Unser Verein verfolgt ein einziges Ziel, nämlich Hongkong zu befreien. Deshalb unternehmen wir alle notwendigen Schritte, die diesem Ziel dienen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Konkret hat unsere Arbeit zwei Aspekte: Einerseits konzentrieren wir uns auf die Hongkonger Gemeinschaft, andererseits auf die internationale Gemeinschaft. Einerseits bemühen wir uns, verschiedene Hongkonger Gruppen in Europa zu vernetzen, um eine nachhaltige Diaspora-Gemeinschaft aufzubauen. Andererseits arbeiten wir daran, eine Gemeinschaft zu bilden, die nicht nur Hongkonger umfasst, sondern alle, die für ein freies Hongkong eintreten. Deutschland spielt eine wichtige Rolle in unserem Kampf gegen die KPCh, da es einer der wichtigsten Partner Chinas ist. Ohne Deutschlands wirtschaftliche und technologische Unterstützung hätte sich China nicht zur zweitgrößten Volkswirtschaft entwickeln können. Wir müssen daher den Druck auf Deutschland aufrechterhalten und dazu aufrufen, seine Beziehungen zu China zu überdenken.
Ray Wong Toi-yeung ist Demokratie-Aktivist aus Hongkong und Berater von Hong Kong Watch. Im Jahr 2015 gründete er die politische Gruppe „Hong Kong Indigenous“. Seine Gruppe wurde zu einer der führenden Parteien in der pro-demokratischen Hongkonger Lokalistenbewegung. 2016 wurde er verhaftet und mit einer möglichen Haftstrafe von bis zu 10 Jahren bedroht. Im Jahr 2017 floh er aus Hongkong und erhielt im darauffolgenden Jahr Asyl in Deutschland. Er lebt und studiert in Göttingen.
Last modified: 23. August 2023