
LGBT unter Tibetern: Tenzin Mariko ist Transfrau und eine der wenigen Tibeterinnen, die offen ihre queere Identität leben. Ihr Weg zur Transfrau im Exil und wie sie die tibetische Gemeinschaft prägt.
VON THUPTEN DERGEY UND TENZYN ZÖCHBAUER
Wie auch in der westlichen Gesellschaft spielt die Thematik rund um das Thema Gender und Identität in der tibetischen Gemeinschaft eine wichtige Rolle und findet im öffentlichen Diskurs immer stärker ihre Präsenz. Die aus dem Englischen übernommene Abkürzung „LGBT“ steht für lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Personen und bezeichnet eine vielfältige Gruppe von Menschen, die in vielen Teilen der Welt mit sozialer und rechtlicher Diskriminierung konfrontiert ist.
Bis noch vor wenigen Jahren war dies ein Tabuthema, über das in der tibetischen Gemeinschaft und in den Familien oft geschwiegen wurde. Unwissenheit, Vorurteile und Ängste vor dem Verlust der tibetischen Identität haben lange Zeit zu Diskriminierung und Ausgrenzung von queeren Menschen geführt. Inzwischen gibt es aber auch in der kleinen tibetischen Diaspora mutige Persönlichkeiten, die ihre Geschichten erzählen und damit einen massiven Unterschied in der Gesellschaft erreicht haben und Aufklärungsarbeit leisten.
Eine der bekanntesten und bemerkenswertesten Figuren der Bewegung ist Tenzin Mariko. Sie gilt als die erste offen geoutete Transfrau im Exil, auch wenn ihr „Outing“ keine freie Entscheidung war. Mariko wurde im Tibetan Children‘s Village Suja geboren und zog im Alter von neun Jahren nach Darjeeling, um Mönch zu werden. Obwohl sie einen Großteil ihrer Teenagerjahre im Kloster damit verbrachte, den Buddhismus zu studieren und zu praktizieren, gelangte ein Video von ihr ins Internet, auf dem sie in einem Kleid und mit Perücke tanzte. Dies führte zu ihrem Ausschluss aus dem Kloster. Mariko nutzte diese Gelegenheit, um ihre Identität zu erforschen, und wählte den Namen „Mariko“, was auf Japanisch „die Wahrheit“ bedeutet. 2015 outete sie sich öffentlich bei der Miss-Tibet-Wahl vor der tibetischen Gemeinschaft als Transgender-Frau. Dies war kein einfacher Schritt für sie, aber neben dem Hass und der Ablehnung erfuhr Mariko auch starke Unterstützung aus der tibetischen Gemeinschaft. Inzwischen ist sie eine kleine Berühmtheit unter Tibetern geworden, arbeitet als Model und Entertainerin und leistet Aufklärungsarbeit innerhalb der Community. Im letzten Jahr arbeitete sie an einer Autobiographie, die bisher noch nicht publiziert werden konnte. Wichtige Themen, mit denen sich Tenzin Mariko darin beschäftigte, sind Fragen um Authentizität und Mut.

der tibetischen Gemeinschaft auf verschiedenste Art und Weise (Foto: Unsplash/Mercedes Mehling)
Mariko ist der Ansicht, dass sich in der tibetischen Gemeinschaft ein Wandel vollziehen muss. Die Geschichte von ihr zeigt, dass die allmähliche Veränderung in der Einstellung zur LGBT-Bewegung in der tibetischen Gemeinschaft trotz der zahlreichen Hindernisse fortschreitet.
Insgesamt hängt die Akzeptanz von LGBT-Personen aber oft von den jeweiligen Gastländern ab, und es bleibt eine Herausforderung, einen einheitlichen Nenner für die Erfahrungen der tibetischen LGBT-Personen zu finden. Hinzu kommt, dass die tibetische Gemeinschaft unter der mangelnden Sichtbarkeit und Akzeptanz in den Gastländern zusätzlich einschränkt ist. Dies geschieht vor dem Hintergrund der aktuellen Unterdrückung und Auslöschung der kulturellen Identität der Tibeter und dem Druck der Integration. Vor allem bei Jugendlichen kann dies ein Gefühl der Ablehnung ihrer Identität hervorrufen und zu psychischen Problemen führen. Somit sind queere Tibeter häufig von mehrfacher Stigmatisierung oder sogenannter „doppelter“ Diskriminierung betroffen. Dies bedeutet, dass sie nicht nur wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert werden, sondern auch aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und kulturellen Identität.
Grundsätzlich gesteht der Buddhismus jedem Menschen das Recht zu, auf seine Weise Glück zu erfahren und Leid zu vermeiden, solange dadurch nicht andere Menschen geschädigt werden
Vor allem der Buddhismus wird oft als Vorwand zur Diskriminierung von LGBT-Personen genutzt. Ganz generell kann aber gesagt werden, dass Homosexualität im Buddhismus nicht direkt angesprochen wird. Unangebrachtes sexuelles Verhalten (z. B. Ehebruch, Gewalt), das von Lust getrieben ist, wird bei Laien als eine der zehn unheilsamen Handlungen gesehen. Der Geschlechtsverkehr wird im klassischen Buddhismus in der Familie akzeptiert, andererseits wird Begierde als Ursache von Leid angesehen, und sexuelle Begierde gilt als die stärkste Form. Daraus kann geschlossen werden, dass sexuelle Handlungen außer zur Gründung einer Familie mit Kindern grundsätzlich als problematisch, weil leidbehaftet, angesehen werden.
Mönche und Nonnen müssen vor dem Eintritt in das Kloster ein Keuschheitsgelübde ablegen, hier wäre jede Form von sexueller Handlung ein Verstoß. Des Weiteren werden angehende Mönche und Nonnen beim Eintritt in das Kloster gefragt, ob sie in der Vergangenheit schon ein anderes Geschlecht hatten. Hier gibt es die Regel, dass maximal zweimal ein Wechsel von einem Nonnenkloster in ein Mönchskloster möglich ist. Diese Regelung lässt Spielraum für die Vermutung, dass Transsexualität auch in Klöstern grundsätzlich akzeptiert ist. Wie dies in der Praxis jedoch umgesetzt wird, ist noch zu wenig erforscht.
Die Auseinandersetzung mit der LGBT-Gemeinschaft im Buddhismus wurde hauptsächlich von westlichen Praktizierenden hervorgerufen, und je nach Lehrer ist der Umgang damit unterschiedlich. Grundsätzlich versucht der Buddhismus, Toleranz und Akzeptanz zu fördern, und gesteht jedem Menschen das Recht zu, auf seine Weise Glück zu erfahren und Leid zu vermeiden, solange dadurch nicht andere Menschen geschädigt werden. Daher ist die zentrale Frage, die jede Person sich selbst stellen muss: „Füge ich mit meinem Handeln jemand anderem Leid zu?“

Das „Tibetan Equality Project“ ist bis jetzt die einzige tibetische Organisation, welche die Perspektiven und Erfahrungen von LGBT-Tibetern und -Tibeterinnen aufzeigt und eine neue Vorstellung davon vermittelt, wie eine inklusive tibetische Zukunft möglich ist. Durch Sichtbarkeit, Aufklärung und Zusammenarbeit mit Unterstützerinnen und Unterstützern weltweit versucht sie, das tibetische Umfeld zu verändern, damit alle Tibeterinnen und Tibeter ohne Angst vor Diskriminierung und Verfolgung leben können. Hierbei werden Retreats (Safe Spaces), Veranstaltungen, Prides und Gemeinschaftsprojekte umgesetzt, wie die Erarbeitung einer genderneutralen Ansprache auf Tibetisch.
Soziale Netwerke helfen querre Tibeter ihre Erfahrungen zu teilen
Projekte wie diese haben queere Tibeter im Exil darin bestärkt, ihre Erfahrungen über soziale Medienplattformen wie YouTube und Instagram sowie auf Blogseiten zu teilen. Dies hat zu einer zunehmenden Solidarität geführt, auch von Seiten nicht-queerer Tibeter. Gleichzeitig ist ein Wandel in der Denkweise der älteren Generation zu erkennen. Ein bedeutendes Ereignis war in diesem Jahr die erstmalige Durchführung einer Pride Parade, einer feierlichen Demonstration mit ca. 80 Personen für die LGBT-Rechte, in der Hauptstadt des tibetischen Exils, Dharamsala. Dies zeigt, dass LGBT-Akzeptanz in der tibetischen Gemeinschaft, wenn auch langsam, immer weiter wächst.
Last modified: 18. Januar 2024