Die Schattenseite von TikTok: Zwischen Suchtpotenzial, Zensur und dem Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas. Der lange Propaganda-Arm Chinas reicht bis auf deutsche Handys.
VON MAREK FELTEN
Nach der Fusion mit der Musik-App Musical.ly entwickelte sich TikTok zu einer der erfolgreichsten Anwendungen. Anfang 2023 hatte die App rund 1 Milliarde Nutzer monatlich. In Deutschland liegt die Nutzerzahl bei etwa 19 Millionen pro Monat. TikTok ist vor allem bei der jungen Generation populär. In China ist die App nicht verfügbar. Dort nutzt man stattdessen Douyin vom gleichen Hersteller.
Teenager tanzen, singen lippensynchron oder berichten von ihrem Schulstress – was könnte harmloser sein? Zumindest befinden sie sich dabei in der Sicherheit ihres Zimmers und setzen sich keinen Gefahren aus. Außerdem bietet die App ihnen die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden und kreativ zu sein. Doch TikTok steht im Ruf, mehr zu sein als nur eine Plattform zum Teilen von Kurzvideos.
Chinas Unternehmen als verlängerter Arm der Partei
Seit Xi Jinping sich als kommunistischer Alleinherrscher etabliert hat, mussten auch chinesische Firmen ihre Unabhängigkeit einbüßen. Die Partei, so betonte Xi, müsse die „gesamte Führung aller landesweiten Aufgaben“ übernehmen. 2020 forderte er chinesische Konzerne dazu auf, Teil einer „Volksfront“ zu werden und kommunistische Zellen zu gründen. Die Botschaft an den privaten Sektor: Ihr dürft Geld verdienen, aber nur, wenn ihr euch der Partei unterwerft.
Was es bedeutet, wenn ein Technologieunternehmen für einen totalitären Staat tätig ist, erfuhr die afrikanische Union 2017. Laut Le Monde Afrique hatte die chinesische Regierung das Hauptquartier der Organisation in Addis Abeba verwanzt. Die Installation der Mikrofone und digitalen Hintertüren war nicht schwer, schließlich hatte Peking das Gebäude finanziert und gebaut. Peking wies die Anschuldgungen von sich, während die Union vorsorglich Server austauschen ließ. Die chinesische Firma, die mit der Installation der Spionagetechnik beauftragt war: Huawei.
Nach langem Ringen scheint sich die deutsche Regierung ebenfalls dazu durchgerungen zu haben, die Partnerschaft mit Huawei zu überprüfen. Von einem Verbot der TikTok-App ist hingegen nicht die Rede. Dabei gelten für ByteDance die gleichen Gesetze wie für alle anderen chinesischen Konzerne. Auch jenseits sicherheitspolitischer Bedenken gibt es gute Gründe, die App nicht als harmloses Kommunikationsmittel zu verniedlichen.
Soziale Medien als Suchtmittel
Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt hat sich in den letzten Jahren mit dem Einfluss Sozialer Medien beschäftigt. Er sieht eine Korrelation zwischen dem Aufkommen von Smartphones und einer Zunahme an psychischen Leiden bei jungen Menschen. Der Sozialwissenschaftler ist überzeugt, dass Soziale Medien aufgrund ihrer Algorithmen abhängig machen und die generierten Inhalte zur Verstärkung bestehender psychischer Leiden beitragen. Wer unter Depressionen, Angstzuständen oder gar suizidalen Gedanken leidet, bekommt Videos geteilt, die diese Gefühle verstärken können.
Es ist der Algorithmus, der TikTok im besonderen Maße gefährlich macht. Durch jede Interaktion wertet er die Vorlieben der Nutzer aus und versorgt sie mit Clips, die sie stärker an die App binden. TikTok besteht entgegen offiziellen Verlautbarungen nicht nur aus Sing- und Tanzeinlagen, sondern ebenso aus Beiträgen des Islamischen Staates, des frauenfeindlichen Andrew Tate und Mutproben, sogenannten „Challenges“, die immer wieder zu Verletzungen oder gar zum Tod führen. „Noch nie war eine Generation so depressiv, ängstlich und zerbrechlich“, schreibt Haidt – und keine App ist unter jungen Menschen so verbreitet wie TikTok. In dem Buch „Abgelenkt“ geht Johann Hari der Frage nach, warum die Konzentrationsfähigkeit seit Jahren rapide abnimmt. Auch hierfür werden Apps wie TikTok verantwortlich gemacht.
Zensur und Propaganda
TikTok soll nicht nur psychische Schäden verursachen, es steht auch im Ruf, ein Instrument der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zu sein. So wurden in der Vergangenheit immer wieder kritische Beiträge über die KPCh, Hongkong oder Tibet zensiert. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, werden Begriffe wie „Umerziehungslager“ oder „Dalai Lama“ automatisch unkenntlich gemacht. In Sachen russischer Propaganda ist TikTok hingegen liberaler: Die Sender RT und Sputnik unterhalten rund 80 Konten, mit denen sie Kriegspropaganda teilen. Laut einer Untersuchung der amerikanischen Regierung sperrt der ByteDance-Konzern Nutzer, die den chinesischen Staat kritisieren oder Themen ansprechen, die der KPCh nicht genehm sind. Plattformen wie TikTok wären demnach ein integraler Bestandteil der Propagandabemühungen Pekings. Die deutschen Vertreter des Konzerns weisen diese Vorwürfe entschieden zurück und versichern, dass die TikTok-App frei von politischer Einflussnahme ist. Trotz dieser Zusicherungen bleiben Bedenken bestehen.
Mit Verboten gegen den Einfluss der KPCh
Angesichts vergangener Skandale überrascht es nicht, dass die App in vielen Ländern auf Widerstand stößt. Kirgistan hat TikTok verboten, weil die App sich negativ auf die Entwicklung von Kindern auswirken soll. Indien begründete das Verbot mit der Gefährdung „der Souveränität und Integrität“ des Landes. TikTok darf auf Diensthandys von Angestellten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates nicht installiert werden. Gleiches gilt für Mitarbeiter der NATO. Zahlreiche weitere europäische Staaten haben die Installation auf offiziellen Smartphones verboten.
Auf amerikanischer Föderalebene sind zahlreiche TikTok-Verbote in Kraft, die von beiden Parteien unterstützt werden. Neben Behörden haben auch Universitäten die Nutzung der chinesischen App untersagt. Der Bundesstaat Montana ging so weit, ein allgemeines Verbot zu erlassen, das Anfang 2024 in Kraft tritt. Auch die Anhörung des Geschäftsführers von ByteDance, Shou Zi Chew, vor dem Kongress konnte die Kritiker nicht umstimmen. Es sieht danach aus, dass der Vorstoß Montanas Nachahmer finden wird. Tatsächlich soll die Biden-Administration ein komplettes Verbot erwägen. Ein ähnlicher Schritt wird in Deutschland ausgeschlossen. Zwar haben auch hiesige Geheimdienste eine Warnung ausgesprochen, und Regierungsbeschäftigte dürfen die App nicht auf ihren Diensthandys installieren, für weitere Maßnahmen sieht Innenministerin Nancy Faeser (SPD) jedoch keinen Grund.
Zwischen Redefreiheit und Subversion
Viele Menschen in Tibet und anderswo haben kreative Wege gefunden, die App für ihre Zwecke zu nutzen.
Die KPCh benutzt TikTok, um ihre Interessen zu verfolgen. Sie greift auf Nutzerdaten zurück, verbreitet Propaganda, unterdrückt Kritik und schürt bestehende Konflikte. Dennoch müssen wir das Für und Wider eines generellen Verbotes genau abwägen, denn die Redefreiheit ist eines unserer zentralen Rechtsgüter. 2022 nutzten zahlreiche Tibeter das Tiktok-Pendant Douyin, um über ihre verzweifelte Lage während des Lockdowns zu berichten. Dadurch konnten solche Hilferufe auch die westliche Welt erreichen.
Die deutsche Regierung sollte es sich zum Ziel machen, die Gefährlichkeit der App weiter zu untersuchen. Dabei sollte auch klar sein, dass die IT kritischer Infrastruktur nicht von chinesischen Unternehmen stammen darf. Es ist wichtig, dass minderjährige Nutzer von TikTok über das Suchtpotential aufgeklärt werden. Angesichts des offenkundigen Scheiterns der Vermittlung von „Medienkompetenz“ müssen wir nach neuen Mitteln suchen, diese Nutzer vor den psychischen Folgen eines unkritischen Gebrauchs solcher Anwendungen zu schützen. Deutsche Politiker sollten sich nicht nur hierzulande für das Recht auf freie Rede starkmachen, sondern auch im Austausch mit ihren chinesischen Kollegen.
Last modified: 10. Januar 2024