Markus Lewe ist Oberbürgermeister von Münster und seit 2023 Schirmherr der Flaggenkampagne der Tibet Initiative. Er sagt: Wir müssen solidarisch mit den Tibeterinnen und Tibetern sein. Sie sind Vorbild in ihrem friedlichen Kampf für Freiheit.
VON ANJA OECK
Brennpunkt Tibet: Im Februar übernimmt Münster die Schirmherrschaft für die Flaggenkampagne der Tibet Initiative Deutschland. Was hat Sie, Herr Lewe, überzeugt, sich verstärkt für Tibet und die Rechte seiner immer stärker unterdrückten Bevölkerung einzusetzen?
Markus Lewe: Münsteraner empfinden eine große Sympathie für Tibet, das dank seiner unglaublichen Landschaft und seiner einzigartigen Kultur eine ganz besondere Faszination ausübt. Es ist insbesondere aber auch der von den Tibetern beschrittene Weg der Gewaltlosigkeit, der dieses Volk zu einem großartigen Vorbild für einige der wichtigsten menschlichen und gesellschaftlichen Werte wie Menschenwürde, Menschenrechte, Frieden, Freiheit oder Toleranz macht.
Wir feiern in Münster in diesem Jahr „375 Jahre Westfälischer Frieden“. Die Stadt ist sich ihrer Verantwortung als Friedensstadt sehr bewusst, und wir handeln danach. Dazu zählt auch, dass wir unsere Solidarität mit den Menschen in Tibet zeigen und für ihr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit eintreten.
Deshalb beteiligen wir uns seit mehr als 25 Jahren am 10. März an der Aktion „Flagge zeigen für Tibet“. Dabei geht es auch darum, das Thema Tibet in der Öffentlichkeit weiterhin sichtbar zu machen. Ich freue mich darüber, dass ich als Oberbürgermeister nun der Schirmherr dieser Kampagne sein darf.
Als sich 1998 der Westfälische Friedensschluss zum 350. Mal jährte, reiste der 14. Dalai Lama aus dem indischen Exil nach Münster, wo er auf dem Schießstand des ehemaligen Militärgeländes Loddenheide eine Kastanie pflanzte. Münster zeigt seit 1996 jährlich Flagge für Tibet. Gibt es weitere Pläne, sich außerhalb der Schirmherrschaft zwischen Münster und Tibet – einem Ort oder auch einzelnen Projekten – zu vernetzen?
Stellvertretend für Tibet ist der Dalai Lama seit Jahrzehnten eine in der Welt hoch geachtete moralische Instanz. Seine Besuche 1998 zum Jubiläum „350 Jahre Westfälischer Frieden“ und 2006 zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Westfälische Wilhelms-Universität waren eine große Ehre für unsere Stadt und sind vielen Münsteranern in eindrucksvoller Erinnerung geblieben.
Anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten 1998 wurde dem Dalai Lama die „Friedensbotschaft von Münster“ überreicht. Darin stand, dass der Westfälische Frieden Mahnung und Verpflichtung ist, aktiv für Frieden und Freiheit einzutreten, überall in der Welt gegen Hass und Intoleranz, Rassismus und Verfolgung vorzugehen. Dieser Grundsatz gilt für uns selbstverständlich weiter.
Mit der Schirmherrschaft für die Kampagne „Flagge zeigen für Tibet“ können wir einen kleinen, aber hoffentlich nicht unbedeutenden Beitrag leisten, um die Tibet Initiative Deutschland zu unterstützen. Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei der Regionalgruppe Münster, die seit vielen Jahren so wichtige und engagierte Arbeit zu diesem Thema leistet.
Welche Rolle können Verantwortliche einer fortschrittlichen Universitätsstadt wie Münster, in deren Geschichte Freiheit immer wieder eine besondere Bedeutung hatte, gegenüber einem so autokratischen System wie China im Jahr 2023 einnehmen?
Wir haben das große Glück, in einem Land zu leben, in dem wir uns frei bewegen, politisch einsetzen und unsere Meinung frei äußern dürfen. Mit diesen Privilegien vor Augen muss es unsere Aufgabe sein, uns für die Menschen einzusetzen, die das nicht können. Wir dürfen deshalb nicht aufhören, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Tibet zu lenken und den Tibetern unsere Stimme zu leihen.
Kommunen, die sich zu Tibet bekennen, berichten immer wieder, dass von chinesischen Vertretern versucht wird, Druck auf ihre Entscheidungen auszuüben. Würden Sie sich dem widersetzen, oder sehen Sie andere Möglichkeiten, einer Beeinflussung seitens chinesischer Behörden demokratisch zu begegnen? Bereiten Sie sich auf etwaige Beeinflussungsversuche vor?
Ich weiß von dieser Art von Beeinflussung. Meines Erachtens gibt es nur einen Weg, sich dieser entgegenzustellen: solidarisch mit anderen Städten und Gemeinden sein.
Was wünschen Sie sich für Tibet bzw. dessen Bevölkerung? Welche politische Entwicklung würden Sie begrüßen und unterstützen? Welche Möglichkeiten sehen Sie dabei für europäische Politiker?
Ich wünsche mir für die Menschen in Tibet eine friedliche Lösung, die ihr Selbstbestimmungsrecht gewährleistet und die ihre Menschenrechte achtet. Selbstverständlich bedarf es dafür auch entsprechender Handlungen in der (europäischen) Politik.
Eines sollten wir aber dennoch nicht vergessen – und auch hier zitiere ich aus der Friedensbotschaft von Münster aus dem Jahr 1998: Der Appell für ein friedliches und gewaltfreies Miteinander der Menschen richtet sich nicht allein an Regierungen und Parlamente, Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Entscheidend ist und bleibt immer die individuelle Bereitschaft jedes Einzelnen zu friedlicher Kommunikation auf der Basis von Verständnis, Toleranz und Gewaltfreiheit. Dafür sollten alle Menschen kämpfen – überall in der Welt!
Markus Lewe ist seit dem 21. Oktober 2009 Oberbürgermeister der Stadt Münster. Im September 2020 wurde er zum dritten Mal in dieses Amt gewählt. Von 2018 bis Juni 2019 und seit November 2021 ist er zudem Präsident des Deutschen Städtetags. Dazwischen – von 2019 bis 2021 – war er dessen Vizepräsident. Markus Lewe ist verheiratet, hat fünf Kinder und mehrere Enkelkinder.
Last modified: 24. Januar 2023