„Tibet hat in China keine Lobby, Tibet braucht eine Lobby in der Welt, eine Lobby in Deutschland“, aus dieser Motivation heraus wurde die Tibet Initiative Deutschland 1989 gegründet. Nach einem Tibet-Vortrag in Bonn waren sich Tibet-Freund*innen und Tibeter*innen einig, gemeinsam aktiv zu werden. Sie trafen sich in einer Bonner Wohnung und gründeten die TID. Der gemeinnützige Verein ist nun seit 35 Jahren aktiv für Tibet.
VON WOLFGANG GRADER
Mit klaren Zielen vor Augen, nämlich der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes für die Tibeter und die Verbesserung der Menschenrechte in Tibet, entstanden jedoch gleichzeitig viele Fragen. Wie das alles funktionieren sollte, war nämlich komplett offen. Wohlgemerkt: Es gab weder Internet, Smartphones noch Social Media. Wie konnten also deutschlandweit all die engagierten Menschen vernetzt werden? Mit ihrem neuen Verein betraten die 17 Gründungsmitglieder – darunter Tsewang Norbu, Palden Tawo und Dalha Agytsang – also organisatorisches wie politisches Neuland.
Die Arbeit organisierten sie ehrenamtlich von ihren Wohnzimmern aus. Die junge Tibet Initiative Deutschland mit den ersten Vorsitzenden Rudolf Becker, Uwe Meya und Helmut Steckel (1989-1994) wurde gleich sehr aktiv und konfrontierte Politiker*innen massiv mit dem Tibet-Thema. Mit Vorträgen und einer politischen Fotoausstellung versuchte man auch, Tibet einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Und es bestand von Beginn an Einigkeit unter den Verantwortlichen, dass man viele Menschen am effizientesten durch Gründung von Regionalgruppen erreichen könne.
So entstanden schon bald die ersten Regionalgruppen und Kontaktstellen zunächst in Bonn, Frankfurt und Hamburg. Diese damals sehr effiziente Organisationsform bedarf inzwischen jedoch neuer struktureller Formen, um weiterhin kraftvoll agieren zu können. Es gibt immer noch viele Engagierte, die bis heute unermüdlich – ob bei Sonnenschein oder Regen – auf der Straße für unser Anliegen werben: an Info-Tischen informieren und fleißig Unterschriften sammeln, Mahnwachen organisieren, Veranstaltungen, Filmabende und Podiumsdiskussionen abhalten. Und doch hat sich das Engagement im Laufe der Jahre verändert: Online-Petitionen, Facebook, WhatsApp-Gruppen, die Social-Media-Welt insgesamt nimmt heute verstärkt Raum ein.
Mit wachsenden Aufgaben wurde hauptamtliche Unterstützung unumgänglich. Außerdem zog die TID 1994, also fünf Jahre nach ihrer Gründung, von Bonn ins Asienhaus nach Essen, um weiter nahe der damaligen Bundeshauptstadt Bonn zu bleiben. Eine erste kleine Geschäftsstelle wurde eingerichtet. Das war noch die Zeit, als der Dalai Lama dort zu Besuch kommen konnte, ohne dass mit ihm Tausende Menschen vor der Tür standen. Dies alles zeigt uns aber auch, dass das Interesse für Tibet in den vergangenen Jahren rapide zugenommen hat und die verstärkte Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich war. Unter dem nächsten Vorsitzenden, meinem Vorgänger Klemens Ludwig (1994-2000), erfolgte eine Konsolidierung des Vereins und 1999 mit den Veranstaltungen zum zehnjährigen Bestehen der TID ein erstes wirkliches Großereignis.
Der Dalai Lama war Gast der „Perspektiven für Tibet“-Konferenz, die Klemens Ludwig organisiert hatte. Der Landeshauptmann von Südtirol, Luis Durnwalder, die ehemalige Ministerpräsidentin Kazimira Prunskiene von Litauen und der Uigure Erkin Alptekin diskutierten mit dem Dalai Lama und hochrangigen Tibetern um die Zukunftsfrage für Tibet, einem bis heute relevanten Thema. Besonders in Erinnerung bleibt allen damals Beteiligten sicherlich das Lichtermeer auf dem Rhein mit über 10.000 Schwimmkerzen, Symbole für die vielen Opfer in Tibet.
Nachdem Berlin 1990 die Hauptstadt Deutschlands geworden war, zog schließlich auch die TID 2001 nach Berlin, dort in das Haus für Demokratie und Menschenrechte, wo wir auch heute noch mit unserer Geschäftsstelle präsent sind. Angefangen haben wir mit einer einzigen Verwaltungskraft, aber im Laufe der Zeit ist das Büro zu einer professionellen und kompetenten Geschäftsstelle herangewachsen.
Heute arbeiten unter der Geschäftsführerin Tenzyn Zöchbauer sechs hauptamtliche Mitarbeiter*innen in Berlin. 1996 startete unsere bisher größte politische Aktion: „Flagge zeigen für Tibet“. Waren es damals lediglich 21 Städte (Wächtersbach ging bei uns als erste Stadt in die Annalen ein), die die tibetische Flagge am 10. März offiziell hissten, so beteiligten sich 2024 fast 500 deutsche Kommunen und Landkreise an dem nach wie vor markanten Zeichen für Tibet.
So prägten und prägen im Laufe der Jahre zahlreiche Kampagnen die Arbeit der Tibet Initiative. Um nur einige weitere zu nennen: die Free Me Kampagne, die Aktion Schneelöwe, Rettet den Kailash, Green Tibet, Bring Tibet to the games 2008, Free Panchen Lama, Der dritte Pol, Leaving fear behind, Team Tibet, Fit for Tibet, No Beijing 2022, Allianz, bist du für mich da?, Blue Tibet, Tibet unzensiert, Keine Zwangsinternate in Tibet.
Leuchttürme unserer Arbeit waren Großveranstaltungen wie 2008, als der Dalai Lama Bochum, Mönchengladbach, Nürnberg, Bamberg und vor allem Berlin besuchte, wo er am Brandenburger Tor vor über 20.000 Menschen eine öffentliche Rede hielt. Der Dalai Lama war öfter bei uns zu Gast. Ich denke besonders gern an unsere Jubiläumsveranstaltung 2014 in Hamburg oder an das Treffen mit Friedensnobelpreisträgern 2018 in Darmstadt zurück.
Ein gewaltiges Ereignis, in das viel Engagement der TID floss, war 2023 die von uns organisierte Tournee einer tibetischen Theatergruppe aus Indien. Erstmals waren mit dem brisanten Stück „Pah-Lak“, in dem die Konflikte in Tibet hautnah erlebbar gemacht wurden, tibetische Schauspieler in Deutschland und in der Schweiz zu sehen. Sie erhielten eine großartige Resonanz. Viele Tibeter im Exil sagen mir immer wieder auf eindrucksvolle Weise, wie hilfreich und wertvoll es für ihr Land ist, dass in Deutschland große Solidarität für Tibet existiert.
Auch wenn unsere Arbeit sehr anstrengend sein kann und sich Erfolge nicht immer gleich einstellen, so ist allein die Tatsache, dass wir Tibet nicht aufgeben, hilfreich für den Kampf der Tibeter um ihr Selbstbestimmungsrecht und um die Verbesserung ihrer Lage in Tibet.
Die TID ist als Organisation gefestigt und zu einer starken Stimme für Tibet geworden. Wir sind medial und politisch äußerst präsent, das zeigen die vielen Medienberichte und Gespräche mit politischen Akteuren. Und das Wichtigste, es macht uns allen Freude, uns für Tibet einzusetzen.
Die vielen Begegnungen und Ereignisse sind sehr motivierend und geben Kraft und Zuversicht für unsere weitere Arbeit, gemäß unserem Motto „Gemeinsam. Stark. Für Tibet“. Der Verein konnte deshalb so stark werden, weil er viele Veränderungen in der Vereinsstruktur zuließ und kontinuierlich offen für Neues war und bleibt. Jede Zeit benötigt ihre Arbeitsweisen und Methoden. Unterstützen Sie Tibet bitte weiterhin mit voller Kraft. Das ist unser Wunsch für die nächsten Jahre. Free Tibet.
// Wolfgang Grader, Vorsitzender der Tibet Initiative Deutschland
Last modified: 19. August 2024