Das Tibet-Museum in Dharamsala erzählt auf innovative Weise über die Geschichte, Kultur und Religion Tibets. Gestaltet hat das Museum der deutsche Designer Markus Strümpel. Er hat das Museum modernisiert – für eine neue Generation von Tibetern.
VON MAREK FELTEN
Seit der Eröffnung des neuen Tibet-Museums am 27. Januar 2022 durch Penpa Tsering, den Premierminister der tibetischen Exilregierung, ist die nordindische Stadt Dharamsala um eine touristische Attraktion und die tibetische Exilgemeinde um eine einmalige kulturelle Institution reicher.
Wenn man die Website des Museums aufruft, springt einem das Logo ins Auge. Es spiegelt die Herausforderung einer Institution wider, die sich sowohl dem vergangenen als auch dem gegenwärtigen Tibet widmet. Gestalter Markus Strümpel, der die Dauerausstellung gemeinsam mit der Szenografin Alexandra Grandjacques entworfen hat, ist auch für die Typographie verantwortlich. „Die Flamme im Mittelpunkt nimmt Bezug auf den Widerstand des tibetischen Volkes“, so erklärt es mir der Designer. Und die stilisierten Umrisse des früheren westlichen Tor-Chortens von Lhasa rücken die tibetische Hauptstadt in den Vordergrund. Das kräftige Gelb entspricht der Farbe des tibetischen Flüchtlingsdokumentes, einer Art Exil-Reisepass. Die Schrift Pema (Lotus) ist die „erste tibetische Schrift mit dem Charakter moderner serifenloser Fonts“.
Zunächst traf der Vorschlag auf Skepsis, den traditionellen Charakter des Tibetischen zu modernisieren. Doch da ließen sich die Kuratoren überzeugen, dass so die Sprache weniger Relikt sei als vielmehr ein lebendiges Kommunikationsmittel. Damit ist bereits eine Herausforderung der Geschichte und ihrer Darstellung angesprochen: Wie modernisiert sich eine Kultur, ohne wichtige Elemente ihres Kerns einzubüßen?
Dass der 1987 diplomierte Designer den Auftrag zur Gestaltung des Museums erhielt, war seiner persönlichen Leidenschaft und ein wenig dem Zufall geschuldet. Im Laufe mehrerer Indienreisen lernte Markus Strümpel Dharamsala kennen, den Sitz der tibetischen Exilregierung. Mit Ende zwanzig fasste er den Entschluss, sich für Tibet zu engagieren, und richtete sich deshalb an die Repräsentanz des Dalai Lama in London. Zwei Tage später erhielt er eine positive Antwort, die er als „Wink des Schicksals“ verstand und gleich annahm: Markus Strümpel sollte der Gestalter eines Tibet-Museums in Dharamsala werden. Es gab einen israelischen Projektleiter, finanzielle Förderung, tibetische Kuratoren und ein passendes Gebäude. Markus Strümpel hatte während seines Studiums bereits erste Erfahrungen mit Raumgestaltung gesammelt. Das Projekt konnte also seinen Lauf nehmen.
Der Wahlberliner beschreibt das Konzept dieses ersten Museums als „klassisch“ mit großflächigen Fotos und Textwänden, die den Betrachtern Geschichte, Kultur und Religion der Tibeter nahebringen. Tonaufnahmen, Bewegtbilder oder Animationen kommen darin kaum zum Einsatz. Als das Museum 1999 eröffnet wurde, war dies die gängige Art, Museen zu gestalten.
Ein zentrales Ziel bestand damals darin, jungen Tibetern zu helfen, ein Bewusstsein für ihre Herkunft und Kultur zu entwickeln. Denn um die Jahrtausendwende sah sich die tibetische Exilgemeinde damit konfrontiert, dass ihre junge Generation sich zunehmend westlich kleidete, westlich aß und dachte. Was sie antrieb, war weniger der Traum, in ein befreites Tibet zurückzukehren oder die religiösen Praktiken zu wahren, sondern die Aussicht, nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten auswandern zu können.
Um dieser Entfremdung entgegenzuwirken, wurde eine Dauerausstellung entworfen, in der Kuratoren anhand ihrer persönlichen Biographien, Dokumente und Fotos verschiedene Aspekte der tibetischen Geschichte – Flucht, Widerstand, Leben im Exil – darstellten. Die Geschichte Tibets sollte so eine Verbindung zu älteren Generationen schaffen und auf die andauernde Ungerechtigkeit nördlich der Grenze hinweisen. Das Museum erwies sich als großer Erfolg. Rund 700 Personen besuchten die Ausstellung pro Tag, und so reifte nach und nach der Wunsch, ein neueres, größeres und noch moderneres Museum zu bauen.
In den zwei Jahrzehnten zwischen der Eröffnung des alten und der Planung des neuen Museums hatte sich jedoch auch die Gestaltung von Ausstellungen weiterentwickelt. Nicht mehr exemplarische Biografien, didaktische Geschichtslektionen und ethnografische Exponate standen nun im Vordergrund, sondern das Erzählen kleiner Geschichten durch persönliche Gegenstände oder mittels Aussagen von Exil-Tibetern. So erfährt der Besucher etwa die Geschichte eines Schneiders, der nach der gemeinsamen Flucht mit dem Dalai Lama neue, dem Klima Indiens angepasste Mönchsroben anfertigen musste. Eine andere Person stellt den Inhalt ihrer Truhe dar: persönliche Habseligkeiten, wichtige Dokumente und Briefe, die sie ins Exil retten konnte. Das neue Museum ist nun weniger Top-Down und analytisch strukturiert, sondern vermittelt mehr „Geschichte von unten“ und bindet den Besucher stärker ein.
Wer das von Tashi Phunstok geführte Museum betritt, wird zunächst von Tibetern begrüßt, die auf einer Videowand – auch technisch wurde aufgerüstet – ihre Lebensgeschichte auf Tibetisch und der Sprache ihrer neuen Heimat wiedergeben. Markus Strümpel spricht in diesem Zusammenhang von einem „Museum for the people“. Gleichzeitig, so sagt er, müsse das Konzept des neuen Museums nicht mehr so stark um das Interesse der jungen Generation buhlen, denn diese hätte in den letzten Jahren ein neues Interesse an ihrem Erbe entwickelt.
Seit seiner Eröffnung Anfang 2022 hat sich das neue Museum als beliebt bei Einheimischen und Touristen erwiesen. Dabei fand die eigentliche Planung und Umsetzung der Dauerausstellung – die Kommunikation mit der britischen Kuratorin Emma Martin, der Austausch mit den Grafikern, Konstrukteuren und Mitarbeitern – unter erschwerten Bedingungen statt. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten Markus Strümpel und Alexandra Grandjaques das Projekt nämlich aus 5.000 Kilometern Entfernung betreuen. Als sie dann nach jahrelanger Planung im April 2022 endlich das erste Mal ihr Werk in Augenschein nehmen konnten, waren sie mit dem Ergebnis äußerst zufrieden. Was sie sahen, war eine Schau, die auf moderne Medien und die Partizipation der Besucher setzt. So gibt es etwa die Möglichkeit, sich selbst textlich einzubringen oder für ein Selfie mit einer Figur des Dalai Lama zu posieren – leicht subversiv, wenn man bedenkt, dass der Besitz seines Fotos in Tibet streng verboten ist.
Last modified: 30. März 2023