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Die Neue Seidenstraße: Segensreicher Handel oder globales Hegemonialstreben?

03/2020 • Brennpunkt Tibet • Titel

1. November 2020

2020 erhielt Chinas Infrastruktur-Projekt „Neue Seidenstraße“ einen empfindlichen Rückschlag: Wegen der Corona-Pandemie kamen etliche Projekte ins Stocken. Doch worum geht es bei der „Neuen Seidenstraße“ überhaupt? Ist sie Entwicklungs-Chance oder Ausdruck von imperialem Weltmachtstreben?

VON KLEMENS LUDWIG

Handel zählte schon immer zu einem wichtigen Element im Austausch der Kulturen. Eine der ältesten und bedeutendsten Routen verlief zwischen Ost- bzw. Zentralasien und dem Mittelmeer, heute bekannt als Seidenstraße. Der Begriff selbst jedoch stammt aus dem 19. Jahrhundert. Der deutsche Geograph und Forschungsreisende Ferdinand Freiherr von Richthofen hat ihn geprägt.

Es gab nie DIE Seidenstraße, sondern es handelte sich um eine Vielzahl von Handelswegen zwischen China und Europa. Die Route begann (zumeist) in der alten Kaiserstadt Chang’an nahe dem heutigen Xian am Fuße des Himalaya, und führte Richtung Nordwesten durch die Wüste Taklamakan, über das Pamir-Gebirge ins heutige Afghanistan und Usbekistan und schließlich durch Persien und Mesopotamien ans Mittelmeer. Die Hauptroute zog sich insgesamt über 6.400 Kilometer hin, südlichere Wege streiften auch den tibetischen Kulturraum, vor allem Ladakh. Die heutige chinesische Außenwirtschaft bezieht sich explizit auf diesen alten Handelsweg, der dadurch wieder sehr lebendig geworden ist.

Historische Dimensionen

Die Seidenstraße diente seit dem 2. Jahrhundert vor Christus dem Austausch zwischen Europa und Asien. Schon lange vorher wussten die Kulturen aber voneinander, und Eroberer wie der Makedonenkönig Alexander zogen gen Osten, um die sagenhaften asiatischen Reiche zu erreichen, er allerdings auf einer südlicheren Route. Ihren ersten Höhepunkt verzeichnete die Handelsstraße parallel zur größten Ausdehnung des Römischen Reiches nach der Zeitenwende. Ihr Verlauf nördlich des Himalayas war zwar mühsam, aber machbar. Der Seeweg dagegen war – trotz großer nautischer Fähigkeiten von Chinesen als auch Römern – schwierig. Vor dem Bau des Suez-Kanals gab es keinen direkten Weg vom Mittelmeer in den Indischen Ozean. Und bis China waren vom Roten Meer aus manche Nadelöhre zu passieren wie der Golf von Aden oder die Straße von Malakka, die schon immer bevorzugte Orte von Piraten waren. Mit dem Niedergang des Römischen Reiches verlor auch die Seidenstraße an Bedeutung, denn Europa versank für Jahrhunderte in Unsicherheit und Kriegen, in denen viele zivilisatorische Errungenschaften der Römer verloren gingen. Dennoch geriet die Route nicht völlig in Vergessenheit, und mit der Expansion der Mongolen im 13. Jahrhundert erlebte sie einen neuen Aufschwung. Einer der berühmtesten Reisenden zu jener Zeit war der Venezianer Marco Polo (1254 – 1324), dessen Berichte über seine Reise sowie seinen Aufenthalt am Hof der damals in China herrschenden Mongolen großen Einfluss auf Europa ausübten. Marco Polo war von 1271 bis 1295 unterwegs und bei weitem nicht der einzige Europäer auf der Route, aber er berichtete am genauesten darüber. Der Aufschwung währte jedoch nicht lange, denn im 15. Jahrhundert erlangte die Seefahrt neue Bedeutung, und der mühsame Landweg geriet in Vergessenheit.

Expansion von Handel und Glauben

Der Name „Seidenstraße“ ist irreführend, denn Seide gehörte nicht zu den begehrtesten Produkten. Sie wurde zwar auch gehandelt, doch die wichtigeren Produkte waren Porzellan, Keramik, Jade, Bronze, Lacke und Pelze. In China wiederum waren vor allem Gold, Edelsteine und Glas gefragt. Ein ausgesprochen unerwünschtes Nebenprodukt wurde im 14. Jahrhundert mit nach Europa eingeführt: Pestbakterien.

Doch Reisenden auf der Seidenstraße ging es nicht nur um Warenaustausch. Die Verbindung war auch eine Route der Religionen. Im Spätmittelalter war in Europa die Kirche wichtigster Machtfaktor. Sie besaß schon damals einen großen Geschäftssinn, jedoch immer mit dem Bemühen verbunden, ihren Glauben zu verbreiten. Am chinesischen Kaiserhof wechselten sich Epochen großer Offenheit mit rigider Abschottung ab. Auch Marco Polo sowie sein Vater und sein Onkel, die mit dem damals 17-Jährigen nach China reisten, hatten zuvor Papst Gregor X. getroffen, der sie ausdrücklich beauftragte, den mongolischen Großkhan zum Christentum zu bekehren und als Verbündeten gegen den expansiven Islam zu gewinnen. Dieses Begehren stieß bei den Mongolen allerdings auf keinerlei Widerhall, und auch andere Missionare verzeichneten keine nennenswerten Bekehrungserfolge in China. Sehr viel erfolgreicher waren islamische Eroberer, die über die Seidenstraße nach Osten zogen und überwiegend buddhistische Reiche Zentralasiens innerhalb weniger Jahrhunderte militärisch vernichteten. Die von den Taliban im März 2001 zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, die von zeitgenössischen Reisenden als monumentale und reich verzierte, aus dem Fels gehauene Figuren beschrieben wurden, waren eine kleine Erinnerung an die buddhistische Epoche der vorislamischen Zeit.

Karawanen auf der südlichen Route der Seidenstraße um die Wende zum Jahrhundert

Der Anspruch der Kommunistischen Partei

Heute hat die Erinnerung an die Seidenstraße brisante wirtschaftliche und politische Dimensionen erreicht. Die KPCh bezieht sich bei ihrer beispiellosen Expansionspolitik auf die alte Handelsroute.

Nach ihrem eigenen Verständnis hat die KPCh einen Sozialismus mit chinesischen Charakteristika geschaffen. Sie regiert inzwischen länger als die KPdSU der Sowjetunion, und ihre Macht erscheint im Moment vollkommen unangefochten. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Väter des Kommunismus, Karl Marx und Friedrich Engels, auf die Arbeiter, die Proletarier der Industrienationen, als revolutionäre Kraft gesetzt hatten. Ausgerechnet das Land, das bei der kommunistischen Machtübernahme so gut wie kein Proletariat besaß, hat sich als einziges dieser Systeme langfristig konsolidiert. Politisch handelt es sich um ein totalitäres Einparteiensystem, das als Indikator für seinen Erfolg – und damit seine Legitimität – dem wirtschaftlichen Fortschritt große Bedeutung beimisst. Zudem postuliert die KPCh die Entwicklung einer materiellen sowie ökologischen Zivilisation. Über den Kommunismus hinaus beruft sich das System dabei auf alte chinesische Traditionen wie

  • den Konfuzianismus, der die Achtung vor der Tradition, klare Hierarchien auf allen Ebenen sowie eine Einheit von Mensch und Himmel postuliert;
  • den Daoismus mit der Lehre vom ewigen Werden und Vergehen und dem „Wu Wai“ = Nicht-Handeln. Dies bedeutet „nicht gegen den natürlichen Lauf der Dinge handeln“, und den „natürlichen Lauf der Dinge“ bestimmt heute natürlich die KPCh;
  • den Buddhismus, der zwar keine genuin chinesische Tradition ist, aber gut in die Ideologie der KPCh integriert werden kann, weil er die Gleichheit der Menschen propagiert. Für Tibet gilt das deshalb nicht, weil dieser aus der indischen Tradition stammende tibetische Buddhismus Quelle von Eigenständigkeit ist und deshalb rigoros bekämpft wird.

Theoretisch wird der Sozialismus gestärkt, wenn diese Grundlagen umgesetzt werden. Praktisch hat der wirtschaftliche Fortschritt als Gradmesser für die Entwicklung folgenschwere Konsequenzen.

Die KPCh hat vom Prinzip der „eisernen Reisschüssel“ Abstand genommen, die eine Mindestversorgung für alle Menschen gewährleisten sollte, was in der Praxis nicht immer der Fall war. Es herrscht ein gnadenloser Wettbewerb auf Kosten vieler hundert Millionen Menschen, vor allem der Wanderarbeiter. Reichtum ist ausgesprochen populär, und viele Zöglinge der KP-Elite streben lieber in die Wirtschaft als in die Politik. Ein extremer Verbrauch von Energie, Wasser und Rohstoffen kurbelt den Fortschritt an, was zunehmend Umweltprobleme verursacht, die wiederum häufig Anlass für lokale Proteste sind. Die KPCh strebt ein Wirtschaftswachstum von sechs bis zehn Prozent an, um den allgemeinen Lebensstandard halten zu können. Eine wichtige Quelle für den unermesslichen Bedarf an Energie und Rohstoffen sind die nach der Besetzung geschaffenen Provinzen in den Randgebieten des chinesischen Herrschaftsbereiches wie Tibet, Xinjiang (Ost-Turkestan) und die südliche (Innere) Mongolei. Im historischen Tibet sind heute über hundert Wasserkraftwerke in Betrieb, im Bau oder in Planung. Nahezu die gesamte Energie wird nach China exportiert. Dazu kommen Minenprojekte und Abholzungen.

Expansion über die Grenzen

Doch die Ausbeutung der Provinzen am Rande reicht bei weitem nicht, um den wirtschaftlichen Erfolg langfristig zu gewährleisten. Deshalb verfolgt die KPCh vor allem unter ihrem Vorsitzenden Xi Jinping eine bespiellose wirtschaftliche Expansion, die – politisch vordergründig zurückhaltend – die „Neue Seidenstraße“ genannt wird. 2013 wurde die Idee zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Wenn ich an die Glanzzeiten der Seidenstraße zurückdenke, kann ich das Echo der Kamelglocken hören, wie es von den Bergen hallt, sehe die Rauchschwaden der Feuer, die Händler nachts in der Wüste entfachen.“

Xi Jinping

Offiziell heißt das Projekt „One Belt, One Road“ („Ein Gürtel, eine Straße“) bzw. „Belt and Road Initiative“, aber auch der Begriff „Neue Seidenstraße“ wird im KPCh-Jargon verwendet. Der nüchterne und extrem autoritäre Technokrat Xi Jinping gerät ins Schwärmen, wenn er auf sein Lieblingsprojekt zu sprechen kommt: „Wenn ich an die Glanzzeiten der Seidenstraße zurückdenke, kann ich das Echo der Kamelglocken hören, wie es von den Bergen hallt, sehe die Rauchschwaden der Feuer, die Händler nachts in der Wüste entfachen.“

Etwas weniger pathetisch und scheinbar selbstlos erklärte er kurz danach auf einem „Seidenstraßen-Gipfel“: „Mit der Neuen Seidenstraße wollen wir den wirtschaftlichen Austausch weltweit verbessern und den Wohlstand aller Länder erhöhen. Es ist eine Straße für einen gemeinsamen, globalen Aufschwung. Die Fakten zeigen, dass die gemeinsamen Projekte nicht nur die Entwicklung vieler Länder in der Welt fördern, sondern auch für China eine weitere Öffnung bedeuten.“

Die Planung ist weniger romantisch, und die Dimensionen schwanken zwischen visionär und größenwahnsinnig. Insgesamt sind bis jetzt 60 Staaten in das Projekt einbezogen, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren. Im Wesentlichen geht es um Infrastrukturmaßnahmen wie den Bau oder Ausbau von Straßen, Eisenbahnen, Stromleitungen, Pipelines, Häfen sowie Telekommunikationsnetzen. Dafür hat China bislang 900 Mrd. US-Dollar bereitgestellt.

Da selbst nach dem Zerfall der Sowjetunion weit weniger als 60 Staaten zwischen China und Europa liegen, ist offensichtlich, dass die Dimensionen weit über die alte Seidenstraße hinausgehen und Gebiete einbezogen werden, die niemals von Kamelen erreicht worden sind.

China investiert auch in Kasachstan (Foto: Shynar Jetpissova / World Bank / CC BY-NC-ND 2.0)

Natürlich spielen Chinas westliche Nachbarstaaten in Zentralasien in den Plänen eine wichtige Rolle. Dort hat die KPCh schon vor dem Projekt „Neue Seidenstraße“ wichtige Infrastrukturmaßnahmen begonnen. Hintergrund ist auch die Rivalität zu Russland: Die fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan gehörten zur ehemaligen Sowjetunion. Sie besitzen zum Teil einflussreiche russische Minderheiten, und manche orientieren sich noch immer an Moskau. Der chinesische Einfluss ist im letzten Jahrzehnt allerdings dramatisch gewachsen, in Kirgisistan am stärksten. Chinesische Produkte beherrschen den Markt, China baut Fabriken auf, die im eigenen Land überaltert sind, und spendiert großzügig Kredite für die neue Infrastruktur.

Was für Kirgisistan gilt, soll bald auch für Kasachstan gelten, die mit Abstand größte, wenn auch mit knapp 20 Mio. Einwohnern dünn besiedelte zentralasiatische Republik, die im Osten an China grenzt. Kasachstan hat mit 19 Prozent die größte russische Minderheit, dazu eine 7.000 Kilometer lange Grenze mit Russland, und Russisch ist Amtssprache. Das alles hält China und die einheimische Elite nicht davon ab, die Zusammenarbeit ständig zu intensivieren. Dabei verfolgt China eine etwas andere Strategie als in Kirgisistan und setzt vor allem auf moderne Investitionen. Die Börse in der Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana) gehört zu 25 Prozent der Börse von Shanghai, zu fünf Prozent dem Silk Road Fund und ist strategischer Partner der Börse von Shanghai. Auch ein neues Finanzzentrum wurde dort errichtet, und niemand macht einen Hehl aus der engen Zusammenarbeit mit chinesischen Finanzinstitutionen. Kasachstan ist eine Drehscheibe für Kontakte nach Europa und zudem ausgesprochen rohstoffreich – beste Voraussetzungen, um im Fokus der KPCh zu stehen. Von Usbekistan, dem bevölkerungsreichsten Land Zentralasiens, führt eine wichtige Gaspipeline nach China.

Über die Seidenstraße hinaus

Während Investitionen in Zentralasien noch nachvollziehbar sind, reichen selbige in anderen Regionen weit über die unmittelbare geopolitische Einflusszone hinaus. In den Planungen der Neuen Seidenstraße spielt auch Südasien eine wichtige Rolle, vor allem Sri Lanka und Pakistan, zwei Regionen, die mit der ursprünglichen Handelsroute wenig (Pakistan) oder gar nichts (Sri Lanka) zu tun hatten. Hier geht es vor allem um den Bau von Häfen, die China finanziert und über die es dann bestimmt. Da Pakistan von China aus über den Landweg zu erreichen ist, wurde das Projekt „China Pakistan Economic Corridor“ gestartet, eine Kombination aus Straße und Schiene. Die Reichweite erstreckt sich von der chinesischen Grenze im Norden quer durch das Land bis zur Hafenstadt Gwadar im Süden, wo ein großer Tiefseehafen am Arabischen Meer entsteht.

Was sich in Pakistan noch im Aufbau befindet, ist in Sri Lanka bereits Wirklichkeit. In Hambantota, im äußersten Südosten der Insel, wurden mit chinesischen Krediten im Rahmen der „One Belt, One Road“-Initiative ein Tiefseehafen und ein Flughafen gebaut. Beides erfüllte nicht annähernd die wirtschaftlichen Erwartungen, so dass Sri Lanka die Kredite nicht zurückzahlen konnte. Als Resultat musste die Regierung 70 Prozent der Hafenanteile für 99 Jahre einer chinesischen Staatsfirma als Leasing überlassen. Um China im eigenen „Hinterland“ nicht zu viel Einfluss zu überlassen, hat die staatliche indische Luftfahrtbehörde 70 Prozent am Flughafen übernommen.

Der China Nepal Economic Corridor soll künftig bis Kathmandu verlaufen – ein Teilstück ist die Tibet-Bahn

Die Schuldenfalle hat in Sri Lanka rücksichtslos zugeschlagen, das Projekt ist inzwischen höchst unpopulär, und sein Architekt wurde von den Wählern spektakulär abgestraft. Die Partei des langjährigen Ministerpräsidenten Ranil Wickremesinghe ist heute nur noch mit einem Sitz im Parlament vertreten, der zudem nicht von ihm eingenommen wird. China stört das nicht; es weiß sich durch langfristige Verträge abgesichert.

Die Maritime Seidenstraße – Investitionen in Europa und Afrika

Ebenfalls von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist die sogenannte Maritime Seidenstraße. Von ihren Häfen aus erreicht die gigantische chinesische Handelsflotte Ost- und Südostasien, das Mittelmeer und Europa durch den Suez-Kanal sowie die Ostküste Afrikas. Dabei werden die wichtigsten Tiefsee- und Containerhäfen entlang der Routen angesteuert und in weniger entwickelten, aber strategisch wichtigen Orten vor allem Afrikas hohe Investitionen getätigt. Dabei geht es nicht nur um eine verbesserte Infrastruktur sowie mehr politischen Einfluss, sondern auch darum, Absatzmärkte für chinesische Technologien zu sichern.

Die Investitionen in Europa fügen sich rein äußerlich noch in das historische Bild ein, doch es geht gewiss nicht um Nostalgie. Mit seinen scheinbar unbegrenzten finanziellen Ressourcen ist es China gelungen, die EU in der Frage der Neuen Seidenstraße zu spalten. Während Deutschland und Frankreich der Initiative skeptisch gegenüberstehen, sind vor allem die Mittelmeeranrainer Italien, Griechenland und Portugal, dazu aber auch Ungarn wichtige Partner. Der griechische Hafen von Piräus, der größte Passagierhafen Europas, ist ein Brückenkopf für die chinesischen Ambitionen in Europa. China hat die wirtschaftliche Schwäche Griechenlands ausgenutzt und sich während der Schuldenkrise über einen Pachtvertrag 51 Prozent des Containerterminals für 35 Jahre gesichert. Das griechische Eisenbahnnetz ist seit ein paar Jahren direkt an den Hafen angebunden. In Italien haben die chinesischen Planer vor allem den Hafen von Triest im Visier, und im portugiesischen Sines, an der Westküste südlich von Lissabon, wird ein Tiefseehafen gebaut. Von diesen Anlaufpunkten aus will China die europäischen Länder mit Waren versorgen.

Strategisch ebenso wichtig: die Häfen an der afrikanischen Ostküste. Im Zentrum der Investitionen stehen dort Kenia, Tansania und Dschibuti. Im sehr rohstoffreichen Afrika ist die Infrastruktur jedoch häufig mangelhaft. Die chinesische Strategie ist deshalb ähnlich wie in Europa: wichtige Häfen auf legale Art unter Kontrolle zu bringen. Von dort wird dann ein Straßen- und Eisenbahnnetz zu den rohstoffreichen Regionen oder den wichtigen Absatzmärkten eigener Waren errichtet. Dieses Vorgehen ist in Afrika, im Gegensatz zu Europa, gänzlich unumstritten. Die Eliten freuen sich über die Investitionen, und sie wissen es zu schätzen, dass China keinerlei Forderungen bezüglich der Menschenrechte oder ökologischer Nachhaltigkeit erhebt.

Die chinesische Strategie ist in Afrika ähnlich wie in Europa: wichtige Häfen auf legale Art unter Kontrolle zu bringen. Von dort wird dann ein Straßen- und Eisenbahnnetz zu den rohstoffreichen Regionen oder den wichtigen Absatzmärkten eigener Waren errichtet.

Gänzlich irritierend, auf den ersten Blick, wirkt der Griff auf den Pazifik. Dort wurde der kleine Inselstaat Kiribati im Januar 2020 offiziell Teil des Projektes „One Belt, One Road“. Bei der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens in Peking stand eine Kooperation in Sachen Fischerei, Tourismus und Klimawandel im Zentrum. Ob indes eine nennenswerte Zahl Chinesen den abgelegenen Inselstaat besuchen wird – oder ob dies wünschenswert wäre –, darf bezweifelt werden. Auch als Absatzmarkt chinesischer Produkte eignet sich der 110.000 Einwohner zählende Staat nicht. Offensichtlich verfolgt China damit aber das strategische Ziel, seinen Einfluss im südlichen Pazifik auszubauen, während es im nördlichen Pazifik mit Japan und den Philippinen erhebliche Konflikte um Inselgruppen gibt. Interessant ist auch, welche Staaten bei der „Neuen Seidenstraße“ ausgespart sind: Indien, der große Rivale in Asien, und die USA, der große Rivale auf dem Weltmarkt. Offensichtlich sieht die KPCh keine Perspektive, dort gewinnbringend zu investieren.

Das Engagement in Deutschland

In Deutschland gibt es politisch wie wirtschaftlich immer wieder Kritik an der Initiative. Zum einen ist das Misstrauen groß, dass es nicht nur um wirtschaftliche Entwicklung geht, sondern auch um geostrategische Expansion. Zum anderen zeigt sich immer deutlicher, dass europäische Firmen bei den chinesischen Investitionen weitgehend außen vor bleiben. Das belegt eine aktuelle Studie der Europäischen Handelskammer in China vom Januar 2020. Danach haben sich überhaupt nur sehr wenige europäische Unternehmen an Ausschreibungen im Rahmen des Mammutprojektes beteiligt, da die meisten von ihnen ohnehin keine Chancen für den Erhalt eines Auftrages gesehen hätten, und tatsächlich erhielten fast nur chinesische Unternehmen den Zuschlag. Das Fazit der Studie mit dem programmatischen Titel „Die wenig befahrene Straße“ lautet: „Chinas Mega-Projekt ist bislang ein Projekt von den Chinesen für die Chinesen.“

Nicht alle mögen von diesem Fazit überrascht sein, aber unabhängig davon gibt es einzelne deutsche Kommunen, die ein wichtiger Bestandteil des Projekts sind und dieses auch unterstützen. Dabei handelt es sich um die Hafenstadt Hamburg, die Binnenhafenstadt Duisburg sowie Leipzig und Nürnberg. Diese vier Orte sind Anlaufpunkte der Eisenbahnlinie aus China. Ungeachtet des massiven Baus und Ausbaus von Tiefseehäfen setzen die chinesischen Planer zusehends auf den Zug als effizientestes Transportmittel. Eine Zugfahrt ist deutlich kürzer als ein Transport per Schiff und deutlich kostengünstiger als das Flugzeug. Duisburg ist seit 2011 Endpunkt für chinesische Züge aus Chongqing und damit am längsten in das Projekt eingebunden. Hamburg folgte 2013, kürzlich Leipzig und Nürnberg. Aus Zentralchina legt der Zug knapp 12.000 Kilometer durch die Mongolei und Russland zurück, wofür er 14 bis 15 Tage benötigt. Derzeit kommen rund 40 Züge pro Woche, jeweils mit etwa 50 Containern beladen, in Duisburg an. Die wichtigsten Produkte, die so nach Europa gebracht werden, sind Elektronikgeräte, Textilien und Spielzeug. Die Kapazität soll auf 100 Züge pro Woche erweitert werden. Dafür wird bis 2022 ein neuer Containerterminal gebaut, der „Duisburg Gateway Terminal“. Auf 22.000 Quadratmetern wird Raum geschaffen für weitere Container-Stellflächen, Verladeplätze, Gleis- und Krananlagen sowie Lagerhallen. Mit geschätzten 100 Mio. Euro Investitionen handelt es sich im Rahmen der „One Belt, One Road“-Initiative noch um ein relativ bescheidenes Unterfangen.

„Chinas Mega-Projekt ist bislang ein Projekt von den Chinesen für die Chinesen.“

Studie der Europäischen Handelskammer in China

Besonders symbolträchtig war ein Güterzug, der im April aus Wuhan Duisburg erreichte. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie brachten 35 Container Masken und Schutzkleidung nach Deutschland, was in den chinesischen Medien ein großes Thema war, sollten doch die großartige Bedeutung der Initiative und ihr Nutzen für den Menschen hervorgehoben werden.

Fazit

Dass die Neue Seidenstraße von enormer wirtschaftlicher Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Es handelt sich jedoch nicht um eine Win-Win-Situation gleicher Partner, sondern es ist, wie die Europäische Handelskammer in China ernüchtert festgestellt hat, ein Projekt „von Chinesen für Chinesen“. Manche Länder wie Sri Lanka zahlen schon jetzt einen hohen Preis für ihre Beteiligung. Die Frage nach den weitergehenden Zielen drängt sich auf.

Es steht nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Bedeutung, wenn auch der politische Aspekt betont wird. Die sorgsame und gezielte Auswahl der Partner sowie die erfolgreiche Teile-und-Herrsche-Politik gegenüber der EU verdeutlichen, dass es nicht nur um Handel geht. Es geht auch um globales Hegemonialstreben. China ist zur neuen Weltmacht geworden und braucht dazu – im Gegensatz zu den alten Weltmächten – keinerlei Truppen.


Klemens Ludwig arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Asien. Tibet bereiste er ab 1986 mehrmals, bis ihm die chinesischen Behörden 2004 das Visum verweigerten. 1989 war er Sachverständiger bei der Bundestagsanhörung von Petra Kelly und Gert Bastian und von 1994 bis 2000 Vorsitzender der Tibet Initiative Deutschland. Mehr Infos auf seiner Website unter www.klemensludwig.de.

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Last modified: 18. August 2022

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