
Der wachsende Einfluss von Autokratien auf demokratische Gesellschaften macht auch vor Deutschland nicht Halt. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist es der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gelungen, in Deutschland an Einfluss zu gewinnen. In diesem Prozess spielen deutsche Eliten eine fragwürdige Rolle.
VON ANDREAS FULDA
Wie gelingt es der KPCh, ihren Einfluss in Deutschland auszubauen? Ein wichtiger Faktor: Das seit Sommer 2020 auf die ganze Welt ausgedehnte Zensurregime der KPCh führt zu individueller und institutioneller Selbstzensur. Diese ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich und lässt sich mit Methoden der empirischen Sozialforschung auch nur schwer hieb- und stichfest beweisen. Dennoch findet sie aber statt. Die Konsequenz ist eine Manipulation des öffentlichen Diskurses zu China mit daraus resultierenden gewaltigen politischen und psychologischen Kosten.
Die KPCh als Gefahr für offene Gesellschaften
Unter Generalsekretär Xi Jinping hat die KPCh eine Wende vollzogen. Vorbei sind die Zeiten der relativen Offenheit unter seinem Vorgänger Hu Jintao. Kurz nach Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO 2001 erlebte ich als Berater eines Dachverbandes chinesischer Nichtregierungsorganisationen noch ein China im Aufbruch. Chinesische Akademiker konnten verhältnismäßig frei sprechen, NGO-Aktivisten setzten sich offen für soziale und politische Reformen ein. Diese kurze semi-liberale Phase ist Geschichte. Xi Jinping hat seit 2012 eine personalisierte Diktatur errichtet.
Das Xi-Regime sieht in offenen Gesellschaften eine Gefahr für seinen Fortbestand. Dieser Trend wurde schon durch die Zensurvorgaben aus dem Jahre 2013 ersichtlich. Die „Seven Don’t Speaks“ tabuisierten universelle Werte, Meinungsfreiheit, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte, die historischen Fehler der Partei, die Unabhängigkeit der Justiz etc. „Dokument Nr. 9“ erklärte darüber hinaus Verfassungsdemokratie, unabhängigen Journalismus und die Geschichtsschreibung der Partei zu Tabus. Zu Beginn der Xi-Ära beschränkte sich das Zensurregime weitgehend auf China. Im vergangenen Jahr wurden die politischen Zensurvorgaben internationalisiert. Ende Juni 2020 verabschiedete die KPCh das Hongkong National Security Law. Damit wurde die 1984 vereinbarte gemeinsame chinesisch-britische Erklärung zu Hongkong de facto aufgekündigt. Prominente Köpfe der Hongkonger Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung wanderten daraufhin in Haft. Und mit dem extraterritorialen Paragraphen 38 des Gesetzes hat die KPCh unabhängige Chinawissenschaft kriminalisiert. Akademiker, welche sich in Forschung und Lehre kritisch zum Xi-Regime geäußert haben, müssen befürchten, bei Einreise in China festgenommen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt zu werden.
Das Xi-Regime sieht in offenen Gesellschaften eine Gefahr für seinen Fortbestand. Zu Beginn der Xi-Ära beschränkte sich die Zensur weitgehend auf China. Im vergangenen Jahr wurden die politischen Zensurvorgaben internationalisiert.
Dies ist nur ein kleiner Baustein eines breiten Trends zur Unterdrückung regimekritischer Stimmen und einer totalitären Gleichschaltung der chinesischen Wissenschaft, Gesellschaft und Medien durch eine einheitliche Erzählung, die vom Parteistaat streng kontrolliert wird – eine Entwicklung, die wir besonders zu Beginn der Covid-19-Krise Anfang 2020 beobachten konnten. Chinesische Mediziner, Journalisten und freie Schriftsteller wurden daran gehindert, über die Pandemie offen zu sprechen. Dazu kommt die systematische Unterdrückung von Minderheiten in Tibet, Xinjiang und der Inneren Mongolei. Das Schicksal der Uiguren bewegt Menschen weltweit. Vor dem Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestages diskutierten am 17. Mai 2021 Experten, ob es sich hierbei um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt oder ob es angemessener wäre, bereits von einem Ethnozid beziehungsweise Genozid zu sprechen.
Deutlich wird hierbei, dass die KPCh Menschen, welche ihre Autorität nicht anerkennen, mit Stasi-ähnlichen Methoden der Zersetzung bekämpft. Der uigurische Ökonom und Friedensaktivist Ilham Tohti wurde 2014 als vermeintlicher „Separatist“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Professor Xu Zhangrun, ein renommierter Jurist, verlor 2020 nach Kritik an Xis Covid-19-Krisenmangagement seine Anstellung an der bekannten Tsinghua Universität. Die politische Repression macht auch nicht vor den „offiziellen“ Intellektuellen halt. Nachdem Professor Cai Xia, die langjährige Mitarbeiterin der Zentralen Parteihochschule, Xi Jinping als „Mafiaboss“ und die KPCh als „politischen Zombie“ benannt hatte, wurde sie aus der Partei ausgeschlossen und ihre Pension gestrichen.

Die KPCh verteidigt ihre Autorität jedoch nicht nur mit Mitteln der Repression, sondern nutzt darüber hinaus auch finanzielle Anreize. Diese politische Arbeit wird von der Einheitsfront- Abteilung übernommen. Letztere hat unter anderem die Aufgabe, Chinesen im Ausland für die Partei zu gewinnen, offizielle Narrative zu verbreiten und Forschung an ausländischen akademischen Institutionen zu fördern. Gemäß der Logik der Einheitsfront wird zwischen der Partei als „Avantgarde“, den „Feinden“ der Partei und den „Unentschlossenen“ unterschieden. Dieses Freund-Feind-Denken ist ein zentraler Bestandteil der KPCh-Politik. Ein Bericht der Jamestown Foundation ergab, dass im Jahre 2019 „fast 600 Millionen US-Dollar für Ämter bereitgestellt wurden, die Ausländer und chinesische Gemeinden in Übersee beeinflussen sollen“. Und die von Peking ferngesteuerte Hongkonger Regierung verkündete im Mai 2021, dass sie in Zukunft über 845 Millionen Euro zur Sicherung der nationalen Sicherheit aufwenden wolle. Mit diesen erheblichen Finanzmitteln geht es darum, die vermeintlichen „Feinde“ zu isolieren und die „Unentschlossenen“ auf die Seite der Partei zu ziehen. Es geht im Kern darum, die Geschichte Chinas im Sinne der Partei zu erzählen.
Konfliktvermeidung durch Selbstzensur
Die KPCh verteidigt ihre Willkürherrschaft mit Zuckerbrot und Peitsche. Wer die Autorität der Partei anerkennt, kann mit Förderung rechnen. Wer die Partei öffentlich kritisiert, muss Konsequenzen befürchten. Im März verhängte die Europäische Union aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang Magnitsky-Sanktionen. Im Gegenzug wurden europäische Chinawissenschaftler, die Denkfabrik MERICS in Berlin sowie zahlreiche Parlamentarier mit völlig unverhältnismäßigen Gegensanktionen der KPCh überzogen. Sie können nicht länger nach China reisen. Die Androhung von möglichen Strafmaßnahmen ist ein fester Bestandteil des politischen Repertoires der KPCh. In Reaktion auf einen möglichen Ausschluss von Huawei am Aufbau des deutschen 5G-Netzes sagte der chinesische Botschafter Wu Ken im Rahmen des „Handelsblatt“-Industriegipfels 2019: „Wenn Deutschland eine Entscheidung trifft, die Huawei vom deutschen Markt ausschließt, wird es Konsequenzen geben.“ Die gegen Australien genau aus diesem Grund verhängten chinesischen Wirtschaftssanktionen lassen darauf schließen, dass es sich hierbei nicht um eine hohle Drohung handelt.
„Die KPCh verteidigt ihre Willkürherrschaft mit Zuckerbrot und Peitsche. Wer die Autorität der Partei anerkennt, kann mit Förderung rechnen. Wer die Partei öffentlich kritisiert, muss Konsequenzen befürchten.“
Der Aufbau solcher Drohkulissen zielt darauf ab, deutsche Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft einzuschüchtern. Es ist wahrscheinlich, dass in vielen Fällen das Kalkül aufgeht. Auf individueller Ebene besteht in der Folge Angst, chinesische Partnerorganisationen bzw. Geldgeber zu verärgern. Wer persönliche Kontakte in China hat, muss darüber hinaus befürchten, durch Kritik an der KPCh Kollegen, Familienmitglieder oder Freunde in China zu gefährden. Ein Einreiseverbot nach China ist für Wissenschaftler der größte anzunehmende Unfall. Auf institutioneller Ebene multiplizieren sich die Risiken. Deutsche Konglomerate wie das Automobilunternehmen VW und der Chemie-Gigant BASF haben erhebliche Summen in China investiert. Ein Ausschluss vom Chinageschäft würde daher nicht nur zu Umsatzeinbußen führen. Außerdem bestünde die Gefahr, Investitionen in China abschreiben zu müssten. Individuelle und institutionelle Selbstzensur findet also statt, um Konflikte zu vermeiden. Opfer des chinesischen Zensurregimes haben als Folge Angst davor, mit der Wahrheit zu leben.
Angst essen Seele auf
Psychologische Kriegsführung führt zu imaginärer beziehungsweise zu realistischer Angst vor Konsequenzen. Wie aber gehen deutsche Eliten mit dieser Herausforderung um? Meiner Erfahrung nach ziehen sie oft die falschen Schlüsse. Sie nehmen einen offenen und kritischen Diskurs zu China als einen gefährlichen Akt wahr. Das erzwungene Schweigen muss außerdem gerechtfertigt werden, um kognitive Dissonanzen zu vermeiden. Und wer eigentlich nicht schweigen will, fühlt sich wahrscheinlich schuldig, ein erhebliches internes Dilemma. Es gibt natürlich aber auch Individuen und Organisationen, die die meist wirtschaftlich motivierte Kooperation mit China selbst unter den Bedingungen des Zensurregimes der KPCh fortführen wollen. So wird „Dialog und Kooperation“ mit China allerdings zur Farce. Von dem häufig beschworenen „Dialog auf Augenhöhe“ kann oft keine Rede sein. Stattdessen kommen ausgesprochen fragwürdige Bewältigungsstrategien zum Tragen.
Dabei ist den deutschen Diskursteilnehmern im Zweifel nicht immer bewusst, wie sehr ihre öffentlichen Äußerungen zu China der KPCh nutzen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk positioniert sich der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich mit folgender Aussage: „Nein, China ist keine Diktatur, China ist ein Staat, in dem im Wesentlichen eine Partei, nämlich die Kommunistische Partei, herrscht. Wir haben das einfach so zur Kenntnis zu nehmen.“ Hier wird einem zunehmend totalitären politischen System in der VR China von dem Vizepräsidenten des deutschen Bundestages ein Persilschein ausgestellt. Pikant ist Friedrichs Rolle als Vorsitzender der „China-Brücke“. Dieses Elitennetzwerk soll ca. 30 Mitglieder haben, die aber nicht öffentlich benannt werden. Vorgeblich geht es um „Austausch von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft unabhängig von tagespolitischen Auseinandersetzungen“. Die China-Brücke veröffentlicht aber weder Berichte über Veranstaltungen, noch wird über die Finanzierung in Form von öffentlich einsichtigen Jahresberichten Rechenschaft abgelegt. Angesichts der fragwürdigen Positionierung Friedrichs gegenüber der KPCh gibt der Mangel an Transparenz der China-Brücke Anlass zur Sorge.

Anerkennend zum Xi-Regime äußerte sich jüngst auch die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer. In der Berliner Zeitung schrieb sie im Januar 2021: „Heute muss der Westen erleben, dass ein autoritär geführtes Land wie die VR China in den Augen von immer mehr Staaten die großen Welt- und Daseinsprobleme offenbar wirksamer zu bewältigen versteht als die eigene Führungsmacht“. Auf die Opfer der Willkürherrschaft könne man zwar laut Vollmer „verweisen“, das reiche aber nicht, „den Aufstiegs Chinas zu erklären oder gar zu verhindern“. Auf den ersten Blick mag Frau Vollmers Spekulation über Chinas Zukunft unproblematisch erscheinen. Der ehemalige stellvertretende nationale Sicherheitsberater und amerikanische Chinaexperte Matt Pottinger warnte jedoch jüngst vor einer „besonderen Einstellung, welche Pekings großen Ambitionen förderlich ist“. Dazu gehöre die unkritische Akzeptanz der Einheitsfront-Propaganda, wonach der KPCh „die Zukunft gehöre“ und es nur noch darum gehe, „sich schon jetzt daran anzupassen“. Problematisch ist in diesem Kontext nicht etwa die legitime Kritik Vollmers an Versäumnissen liberaler Demokratien. Allerdings lässt sich eine solche Demokratiekritik auch ohne Beschönigung des politischen Systems der VR China formulieren.
Die Bereitschaft, im Falle Chinas die dunklen Seiten des Xi-Regimes auszublenden, wird besonders in der deutschen Wirtschaft sichtbar. Im April 2019 wurde der CEO von VW, Herbert Diess, von einem BBC-Journalisten darauf angesprochen, dass VW eine Fabrik in Xinjiang unterhalte. Er müsse sich doch bewusst sein, was mit den Uiguren dort geschehe. Diess antwortete auf die Fragen ausweichend. Er könne die Situation in Xinjiang „nicht beurteilen“ und „sei sich nicht bewusst“, dass die chinesische Regierung Umerziehungslager für eine Million Uiguren unterhalte. Vor dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages verharmloste die langjährige Leiterin des Konfuzius-Institutes an der FU Berlin, Mechthild Leutner, im November 2020 Internierungslager für Uiguren als „berufliche Aus- und Weiterbildungszentren“ und sprach von „Deradikalisierungszentren“. Damit übernahm sie die Rhetorik der KPCh. Der Welt-Journalist Maximilian Kalkhof kritisierte daraufhin zu Recht, dass sie damit das „Täter-Opfer-Verhältnis einfach auf den Kopf [stelle]: Nicht die Uiguren sind in ihren Augen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen – sondern der chinesische Staat“.
„Es muss verhindert werden, dass deutsche Technologie bei der Modernisierung der chinesischen Armee zum Einsatz kommt. Gerade aufgrund der eigenen Erfahrung mit Totalitarismus und hegemonialem Expansionsdrang hat Deutschland eine besondere historische Verantwortung.“
Und was sagt Kanzlerin Merkel, die in ihrer Amtszeit China zwölf Mal besuchte? Als sie nach dem EU-China-Gipfel im September 2020 für sechs Minuten sprach, verkamen Hongkong, Minoritäten und Menschenrechte zu einer verbalen Fußnote von ganzen zehn Sekunden ihrer Ansprache. Dagegen ließ sie sich wesentlich länger aus über die verbesserten Verkaufschancen von deutschem Wein und Bier nach dem Abkommen zwischen der EU und China und über geografische Angaben als über die autoritären Exzesse der Kommunistischen Partei Chinas. Ihre Prioritäten sprechen Bände. Hier handelt es sich nur um einige wenige Beispiele von ausgesprochen fragwürdigen öffentlichen Äußerungen deutscher Eliten zum Thema China. Es stellt sich die Frage, warum solche Positionierungen bislang weitgehend unkritisch von der deutschen Öffentlichkeit hingenommen werden. Wie lässt es sich erklären, dass deutsche Eliten sich derart unkritisch zum Xi-Regime äußern? Mangelt es ihnen vielleicht an Chinakompetenz? Oder haben sie vielleicht Angst?
Wie das Zensurregime der Kommunistischen Partei Chinas funktioniert
Wenn das politische Zensurregime der KPCh zu individueller und institutioneller Selbstzensur führt, bleibt die Wahrheit auf der Strecke. Das daraus resultierende Schweigen beziehungsweise die ständige Beschönigung der politischen Lage in der VR China führen dazu, dass die Systemfrage – und damit auch die Machtfrage – nicht länger gestellt wird. Aber mündige deutsche Bürger sollten die fragwürdige Positionierung deutscher Eliten gegenüber der KPCh nicht länger unwidersprochen hinnehmen. Stattdessen sollte damit begonnen werden, die richtigen Fragen zu stellen. Zwischen Partei und Bevölkerung herrscht keine Einheit. Warum hält beispielsweise die Bundesregierung trotz der offensichtlichen Verschlechterung der Menschenrechtslage an ihrer gescheiterten Chinapolitik des Wandels durch Handel fest? Und warum unterscheiden viele deutsche politische Eliten nicht stärker zwischen der KPCh als politischer Organisation und der chinesischen Bevölkerung?

Was „China“ will oder nicht will, ist schon deswegen die falsche Formulierung, weil in der VR China trotz der Versuche der Gleichschaltung keine Einheit zwischen der Partei und der Bevölkerung besteht. Diese Lektion hätte man spätestens nach der Katastrophe des Maoismus lernen müssen. Es sollte deutschen Bürgern darüber hinaus nicht gleichgültig sein, dass die chinesische Gemeinde in Deutschland ständigen Einflussversuchen der KPCh ausgesetzt ist. Die physische Distanz von 7.000 Kilometern spielt im Zeitalter der Revolution des Transport- und Kommunikationswesens keine Rolle mehr. Chinesische Mitbürger – und vor allen Dingen aus Hongkong geflüchtete Demokratieaktivisten – sollten in Deutschland frei leben können. In einer Antwort auf eine Anfrage der FDP räumte jüngst das Innenministerium ein, dass staatliche chinesische Akteure Unterstützer der Protestbewegung in Deutschland gefilmt hätten.
Keine technische Unterstützung für chinesischen Totalitarismus
Und angesichts der Androhung Xis einer möglichen militärischen Annexion Taiwans sollte die Bundesregierung dafür sorgen, dass in der deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation keine sogenannte Dual-Use-Technologie mit chinesischen Instituten geteilt wird, die an die Volksbefreiungsarmee angebunden sind. Es muss verhindert werden, dass deutsche Technologie bei der Modernisierung der chinesischen Armee zum Einsatz kommt. Gerade aufgrund der eigenen Erfahrung mit Totalitarismus und hegemonialem Expansionsdrang hat Deutschland hier eine besondere historische Verantwortung.
„Die politische Zensur der KPCh gilt es, abzulehnen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die individuelle und institutionelle Selbstzensur stark reduzieren.“
Doch anstatt sich mit solchen Fragestellungen auseinanderzusetzen, wird in Deutschland im öffentlichen Diskurs zu China häufig wie folgt argumentiert: Die USA würden auf den Aufstieg Chinas überreagieren und eine unnötige Konfrontation suchen. Darüber hinaus seien die westlichen Medien gegenüber China voreingenommen. Mit solch ausgesprochen fadenscheinigen Argumenten versuchen deutsche Eliten immer wieder, ihre frappierende Nähe zu KPCh-Positionen zu rechtfertigen. Der jüngste Wirecard-Skandal ist in dieser Hinsicht eine deutliche Warnung. Der Journalist und USA-Experte Stephan- Götz Richter sprach in diesem Kontext von einer „kuriosen Mischung von Obrigkeitsglauben, Korpsgeist, Bravheit und Schoßhunddenken“, die zu dem Jahrhundertskandal geführt habe. Die Parallele zu Deutschlands Umgang mit China liegt auf der Hand. Begriffe aus dem Spiegel-Artikel „Die sieben Fehler im Umgang mit dem Wirecard-Skandal“, wie „Betriebsblindheit“, „Duckmäusertum“ und „Wagenburgmentalität“, lassen sich eins zu eins auf den deutschen Chinadiskurs übertragen.
Quo vadis?
Das Zensurregime der KPCh und die daraus resultierende individuelle und institutionelle Selbstzensur in Deutschland führen zu enormen politischen und psychologischen Schäden. Das Ergebnis ist eine offene bzw. stillschweigende Unterstützung des „offiziellen China“ unter Führung der KPCh und eine Marginalisierung des „inoffiziellen China“, womit ich all jene gesellschaftlichen Akteure in China meine, die sich für größere Autonomie von der Partei einsetzen. Eine solche Positionierung Deutschlands gegenüber der KPCh ist zutiefst unethisch: Der chinesische Einparteienstaat wird normalisiert; es gibt keine Empathie und keine Solidarität mit Opfern der Willkürherrschaft; es finden eine Verleugnung der Werte der eigenen Sozialisierung und eine Senkung der eigenen Standards statt; die Opfer der Zensur verlieren den Respekt der KPCh und ermutigen damit immer aggressiveres Verhalten.
Es ist begrüßenswert, dass es mittlerweile erste Zeichen für eine wachsende Emanzipation von ausländischer Beeinflussung gibt. Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Baerbock, setzt sich im gegenwärtigen Bundestagswahlkampf für eine wesentlich kritischere Russland- und Chinapolitik Deutschlands ein. Und die FDP möchte hingegen Deutschlands Beziehung zu dem liberal-demokratischen Taiwan stärken. Auch in der Wirtschaft mehren sich die Anzeichen für ein Umdenken. Der einflussreiche Asien-Pazifik-Ausschuss bekannte sich jüngst deutlich zum Menschenrechtsschutz und will in Zukunft Zwangsarbeit in globalen Lieferketten ausschließen.
In der Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie kann es keine Neutralität geben. Deutschland ist keine große Schweiz. Deutsche Eliten sollten in Zukunft mehr Zivilcourage zeigen, die Systemrivalität mit der VR China annehmen und liberal-demokratische Werte entschlossener vertreten. Die Bevölkerung in Deutschland scheint in dieser Frage bereits weiter zu sein. Eine Umfrage der Körber-Stiftung aus dem Jahr 2019 ergab, dass 76 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass Deutschland „stärker für seine politischen Interessen gegenüber China einstehen [solle], zum Beispiel in Menschenrechtsfragen, auch wenn dies den deutschen Wirtschaftsinteressen möglicherweise schadet“. Die politische Zensur der KPCh gilt es, abzulehnen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die individuelle und institutionelle Selbstzensur stark reduzieren. Hierfür sollte die neue Bundesregierung nach der Wahl eine Stabsstelle beim Bundeskanzleramt einrichten, die sich mit den Herausforderungen autokratischer Regime federführend beschäftigt.

Andreas Fulda ist Dozent an der University of Nottingham. Er hat acht Jahre in der VR China und Taiwan gelebt und gearbeitet und ist Autor des Buches „The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hongkong. Sharp Power and its Discontents“ (Routledge, 2020).
Last modified: 16. August 2022