
Der Exil-Tibeter Tenzin Tsering hat gelernt, sich in Deutschland ein Heimatgefühl zu schaffen und die Verbundenheit zu seiner Kultur aufrechtzuerhalten. Er verspürt einen starken inneren Drang, etwas für Tibet zu tun: Staatenlos will er nicht bleiben.
VON TENZIN TSERING
Ich bin Tsering und lebe seit 2020 in Hamburg. Geboren bin ich in Nordindien in Tashi Jong, zwischen Bir und Dharamsala, wo ich eine ziemlich klassische „Tibeter-im-Exil“- Kindheit verbrachte. Meiner Mutter war es sehr wichtig, mir und meinen zwei Brüdern eine gute Bildung zu ermöglichen. Für unsere Plätze an einer tibetischen Schule musste sie mehreren Jobs nachgehen. Bis zur 10. Klasse war ich im „Lower TCV“, das ich als einer der Besten abschloss. Dadurch konnte ich auf eine Eliteschule wechseln, die ich als Bester des Jahrgangs beendete. Ich bekam Geschenke und eine Ehrung vom tibetischen Premierminister. Das alles motivierte mich, im Ausland zu studieren. Ich war überglücklich, als ich 2012 einen Platz an der internationalen Universität in Bremen erhielt. Dort studierte ich „Electrical and Computer Engineering“ im Bachelor und „Data Engineering“ im Master. An der Universität waren Studierende aus 150 Ländern. Mir war es eine große Ehre, Tibet zu vertreten.
An meiner Universität hatte ich viele chinesische Kommilitonen, und deren Einfluss war durchaus spürbar. Unter anderem beklagten sie sich im Vorfeld bei der Direktion darüber, dass bei der Abschlusszeremonie „Tibet“ unter meinem Namen stand. Zu meiner Überraschung wurde dies auch kurzfristig geändert, so dass ich mit dem Namen und „Staatenlos“ nach vorne gerufen wurde. Wenn man der Einzige ist, spürt man, wie wichtig die Verbundenheit zur eigenen Kultur ist.
Es entwickelte sich ein natürlicher Aktivismus unter uns Tibetern.
Dafür bedurfte es keiner Entscheidung. Wir spürten es im Alltag, wussten, dass wir nicht dazu gehörten und dass wir uns selbst ein Umfeld aufbauen mussten, um ein Heimatgefühl zu spüren. Deswegen versuche ich, an Aktionen und Demonstrationen teilzunehmen, und bin seit einigen Jahren beim tibetischen Jugendverein. Zwar bin ich nicht sehr politisch, aber ich spüre den inneren Drang, so viel wie möglich für Tibet zu leisten. Ich bin dankbar, dass ich auf einer großartigen Universität meinen Abschluss machen konnte. Seit drei Jahren arbeite ich nun als Data Engineer bei einer Schifffahrtsfirma in Hamburg.
Auch im Arbeitsleben mache ich mir Gedanken über den Einfluss, den China in Deutschland hat, vor allem, wenn in kritische Infrastruktur wie den Hamburger Hafen investiert wird. Trotzdem fühle ich mich hier in Deutschland sehr sicher und weiß die Möglichkeiten, die ich hier habe, zu schätzen. Ich möchte einen Beitrag zum Erhalt der tibetischen Kultur und Identität leisten. Dafür müssen wir von den älteren Tibetern lernen, aber auch bereit sein, den Jüngeren unser Wissen weiterzugeben Wir müssen unsere Geschichte teilen und den Menschen um uns erklären, warum wir „staatenlos“ sind, es aber nicht bleiben wollen.
Last modified: 30. März 2023