Viele Tibet-Freunde bekommen das Land ihrer Träume nie in ihrem Leben zu sehen. Denn chinesische Behörden geizen nicht mit Einreiseverboten für Reisende, die mit ihrem Engagement für die Rechte Tibets aufgefallen sind. Ein Aktivist aus unserem Tibet-Netzwerk konnte in diesem Jahr drei Wochen in Tibet verbringen. Er schildert uns aus erster Hand seine ganz persönlichen Eindrücke vom Dach der Welt.
Im zweiten Teil des Reiseberichts geht es um den vorsichtigen Austausch mit den Menschen in Tibet und um die wunderbare, aber bedrohte Natur Tibets.
Kontakt mit
Einheimischen – zwischen Zurückhaltung und Dankbarkeit
Obwohl sich die meisten Tibeter offenbar an die starke Überwachungspräsenz gewöhnt haben (siehe Teil 1 dieses Reiseberichts), ist – wenn auch keine Paranoia – so doch zumindest eine Vorsicht spürbar. Das zeigt sich nicht nur in Lhasa: Im Kloster in Gyantse wollte ich einen Mönch auf den Panchen Lama ansprechen. Sofort war ein Zivilbeamter da, der das wohl mitgehört hatte – und ich brach die Unterhaltung vorsichtshalber ab.
Wenn man, wie ich, einen Blick dafür hat, erhascht man aber auch
die kleinen Momente hinter der Fassade. Als ich einmal in Lhasa mit einem
öffentlichen Bus fuhr, verneigte sich eine Frau sachte vor dem Potala, als wir
daran vorbeifuhren. Ich sprach zu ihr die Worte „Dalai Lama“ und zeigte dabei
auf den Palast, dann nahmen wir uns an den Händen.
In kleinen Momenten wie diesen spürte ich die Dankbarkeit
der Tibeter, wenn sie merkten, dass die politische Dimension um Tibet nicht
vergessen wird. Im Trashilhünpo-Kloster Tashi Lhunpo etwa, dem traditionellen Sitz des
Panchen Lama, habe ich Mönchen, die in heiligen Schriften lasen, gelegentlich leise
„Free Tibet“ oder „Lang lebe der Dalai Lama“ zugehaucht – und dafür stets ein kaum
merkliches Nicken oder Lächeln zur Antwort erhalten.
In einem Nonnenkloster in Lhasa konnte ich mich länger mit einer Nonne auf Englisch unterhalten. Ich fragte sie ganz unverfänglich, wie viele Nonnen hier zurzeit lebten. „Nur noch zehn“, antwortete sie und dass selbst diese Zahl durch die Regierung jederzeit weiter verringert werden könne. Sie merkte, dass ich verstand, als ich durchblicken ließ, dass ich auch über die Vorgänge in Larung Gar informiert bin.
Tourismus – zwischen
Naturschönheit und Naturzerstörung
Nicht alle Touristen teilen leider diesen sensiblen Zugang zu Tibet. Beim Besuch eines Klosters beobachtete ich zum Beispiel eine Touristen-Gruppe, die ungerührt eine tibetische Mutter mit ihrem Kind fotografierte, obwohl der Frau das sichtlich unangenehm war. Andere zückten bei jeder schönen Aussicht immer sofort den Fotoapparat, um Hunderte Bilder zu schießen. Ich dagegen musste den Anblick oft erst verarbeiten und auf mich wirken lassen, etwa als wir zum ersten Mal den Kailash erblickten.
So hatte ich immer wieder mit ambivalenten Eindrücken zu kämpfen: Auf der einen Seite gab es die beeindruckende Natur Tibets zu bestaunen, mit ihrer wunderschönen Landschaft wie dem Skorpion-See (Yamdrok Yumtso), dem Mount Everest und den vielen anderen Bergen mit ihren gewaltigen Strukturen und an der Oberfläche sichtbaren Bodenschätzen. An Aussichtspunkten, an denen man gleich sechs der 14 Achttausender auf einen Blick sieht, fühlt man sich wie ein kleines Staubkörnchen.
Auf der anderen Seite kann man sehen, wie der Tourismus Tibet verändert. Auf der Plattform des Karo-La-Passes warten heute mindestens fünf Shops auf souvenirjagende Touristen. 2001 stand dort nur ein einziges verlorenes Yak-Zelt. Und in den Ruinen des alten Königreichs Guge blickt man von den Höhlen aus jetzt auf eine plattgewalzte Plattform – vermutlich steht hier in zwei Jahren ein Hotel.
Am Karo-La-Pass konnte ich übrigens die Gletscherschmelze
hautnah erleben. Mitreisende freuten sich, dass oben auf den Gipfeln das Eis zu
sehen war. Ich hingegen war entsetzt: 2001 reichte das Eis noch bis zu meinen
Füßen.
Gelegentlich gibt es aber auch positive Veränderungen: Das Südkloster der Klosterstadt Sakya beherbergt eine riesige Bibliothek mit 84.000 Bänden gesammelten tibetischen Wissens. Während mir vom letzten Besuch 2001 nur ein verschwommenes, heimlich aufgenommenes Foto von einer grauen, staubigen Wand geblieben ist, fanden wir diesmal eine strahlend saubere, restaurierte und für jedermann zugängliche Bibliothek vor. Ich habe mich darüber besonders gefreut, weil die Tibeter hier ihre eigenen Wissensschätze bewundern können.
In der Nähe des Silberpalastes im Garuda-Tal wurde gleich ein ganzes Dorf im alten Stil neu aufgebaut. Einige Jugendliche behaupteten, die Häuser seien ihnen von der Regierung geschenkt worden – ohne Gegenleistung. Das konnte ich natürlich nicht überprüfen. Aber während andere Reisende begeistert waren, ließ mich das skeptisch zurück, ob junge Tibeter sich darüber blenden und „prochinesisch“ erziehen lassen könnten.
Im dritten und letzten Teil des Reiseberichts lesen Sie in Kürze, wie es in Tibet um die Religionsfreiheit bestellt ist, und was Sie beachten sollten, wenn Sie selbst einmal nach Tibet reisen möchten.
Hier geht es zum ersten Teil unserer Serie „Unterwegs in Tibet 2019“:
Unterwegs in Tibet 2019: Ein Reisebericht vom Dach der Welt – Teil 1
Last modified: 29. Juli 2019