Viele Tibet-Freunde bekommen das Land ihrer Träume niemals in ihrem Leben zu sehen. Denn chinesische Behörden geizen nicht mit Einreiseverboten für Reisende, die mit ihrem Engagement für die Rechte Tibets aufgefallen sind. Ein Aktivist aus unserem Tibet-Netzwerk konnte in diesem Jahr drei Wochen in Tibet verbringen. Er schildert uns aus erster Hand seine ganz persönlichen Eindrücke vom Dach der Welt.

Im ersten Teil geht es um die Visumsfrage, die ersten Eindrücke von Lhasa nach 18 Jahren und die allgegenwärtige Überwachung.
Ein wenig mulmig war mir schon. Nachdem ich mein Visum für
Tibet beantragt hatte, wurde ich in die chinesische Botschaft in Berlin
vorgeladen. Was genau wollte man dort von mir? War bekannt, dass ich mich seit
langem für die Rechte Tibets engagiere? Dass ich bereits häufig für Tibet und
gegen die chinesische Regierung demonstriert habe? Es war sicher kein Zufall,
dass ich als einziger aus meiner Reisegruppe eingeladen wurde.
Dass es um Tibet ging, wurde mir vor Ort schnell klar: Denn
obwohl mein offizielles Reiseziel mit Hongkong angegeben war, drehten sich alle
Fragen mehr oder weniger um Tibet: Waren Sie schon mal in Dharamsala? Wissen
Sie, dass der Dalai Lama dort lebt? Und so weiter. Ich tat ganz unbedarft und beantwortete
alle Fragen freundlich, offen und naiv. Offenbar mit Erfolg: Mir wurde das
Visum erteilt.
Damit war aber längst noch nicht alles überstanden. Kritisch
war insbesondere der letzte Kontrollpunkt in Chengdu, von wo aus wir nach Lhasa
weitereisen wollten. Wir mussten unser Gepäck auschecken und wiedereinchecken,
dabei zwei Checkpoints passieren. Erst als ich am letzten Check meinen Reisepass
für den Flug nach Lhasa zurückerhielt, wusste ich: Jetzt habe ich es geschafft.
Lhasa 2019 – zwischen
Wiederaufbau und Überwachung
Wir verbrachten die ersten vier Tage in Lhasa, um uns an das
Höhenklima auf knapp 4.000 Meter zu akklimatisieren, bevor wir uns auf unsere
Bustour durch das Land machten. Die dünne Luft und die intensive
Sonneneinstrahlung sind für uns Europäer ganz schön gewöhnungsbedürftig. Außerdem
gibt es in der Hauptstadt natürlich viele Bauwerke und Kunstschätze zu
bestaunen.
Mir viel auf, dass seit meinem letzten Besuch 2001 in der Altstadt von Lhasa viele Häuser im alten Stil wiederaufgebaut worden waren. Und ein weiterer großer Unterschied zu damals stach mir sogleich ins Auge: die starke Polizeipräsenz. Vor 18 Jahren gab es sicherlich auch Überwachungsmaßnahmen, allerdings verborgener. Jetzt konnte man sich der Präsenz gar nicht entziehen. Vor dem Barkhor etwa, dem Gebetsweg rund um das Kloster Jokhang, werden die Gläubigen abgetastet und alle Taschen durchleuchtet. Auf dem gesamten Weg sind kleine Checkpoints eingerichtet, vor denen Polizisten mit Schutzschildern, Schlagstöcken und Feuerlöschern stehen.
Auch auf Lhasas Straßen steht man permanent unter
Beobachtung von Uniformierten. Die Tibeter selbst nehmen das inzwischen gelassen
hin: Ihnen schien überhaupt nicht unwohl zu sein, wenn sie die Beamten
passierten. Ich habe mich dagegen immer demonstrativ abgewendet, um wenigstens einen
kleinen Protest zu zeigen. An vielen Häusern sind Überwachungskameras zu sehen –
manchmal versteckt, manchmal ganz offen. Selbst in unserem Reisebus waren zwei
Kameras fest installiert – eine auf den Fahrer, eine auf die Reisenden
gerichtet.
Nicht weniger auffällig ist die allgegenwärtige Propaganda
der chinesischen Regierung: riesige Schilder mit Parolen, Bilder von Xi Jinping
und chinesische Fahnen auf fast jedem Haus, sogar in den Dörfern. Ich habe mich
gefragt, ob die chinesische Beflaggung angeordnet ist oder ob tibetische
Familien sich dadurch ein wenig Durchschnaufen im Überwachungsalltag
verschaffen – nach dem Motto: „Uns könnt ihr in Ruhe lassen – wir haben sogar die
chinesische Flagge gehisst.“
Manchmal nimmt die Überwachung fast absurde Züge an, wie bei einem musikalischen Abend in Shigatse. Als nach den professionellen Gesangs- und Tanz-Darbietungen die Tanzfläche für die Besucher zum Tanz geöffnet wurde, marschierten fünf Polizisten auf. Sie nahmen am Ende der Tanzfläche Aufstellung und überwachten akribisch das Geschehen. Auch hier schienen die Menschen davon aber kaum beeindruckt zu sein.
In Kürze an dieser Stelle: Lesen Sie im zweiten Teil, wie Tourismus und Bauprojekte das Land verändern und wie dankbar viele Einheimische für kleine Gesten des Zuspruchs sind.
Last modified: 17. Juli 2019