Spiritueller Führer, Identifikationsfigur, Symbol der Hoffnung: Zum 85. Geburtstags Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, würdigt sein langjähriger Übersetzer und Weggefährte Christof Spitz, Vorstand der Tibet Initiative Deutschland sein Werk und seine Persönlichkeit.
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Wenn der 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso am 6 Juli 2020 seinen 85. Geburtstag feiert, wird man auf den Straßen Tibets davon nicht viel mitbekommen. Wie in ganz China sind auch in Tibet Geburtstagsfeiern zu seinen Ehren streng verboten. Die chinesische Regierung verteufelt das oberste spirituelle Oberhaupt der Tibeter, stellt allein seine Erwähnung oder den Besitz seines Bildes unter schwere Strafen.
Umso mehr begehen Tibeterinnen und Tibeter in aller Welt jährlich den Geburtstag des Dalai Lama mit Feiern und Veranstaltungen – besonders in Indien, dem Exil Seiner Heiligkeit, aber auch in vielen anderen Ländern, etwa in der Schweiz und in Deutschland. Wir von der Tibet Initiative Deutschland haben bereits am Vorabend des Geburtstags mit einer Lesung zu seinen Ehren „reingefeiert“ (siehe Video unten). Am Geburtstag selbst empfangen wir vor dem Berliner Reichstag die Teilnehmer einer Fahrrad-Rally des Vereins der Tibeter, die anlässlich des Geburtstags Seiner Heiligikeit von Bonn bis Berlin radelten, um eine politische Botschaft zu übergeben.
Natürlich werden die Feierlichkeiten in diesem Jahr aufgrund der Covid-19-Situation eingeschränkter ausfallen als in anderen Jahren zuvor. Aber auch ohne Corona verschärft die chinesische Regierung in den letzten Jahren auch im Ausland ihren Druck, um Geburtstagsfeiern zu verhindern, insbesondere in seinen unmittelbaren Einflussregionen, etwa in Nepal, wo eine große tibetische Community im Exil lebt.
Der Dalai Lama – sein Wirken, sein Vermächtnis
Aber was macht den Dalai Lama eigentlich aus, so dass er zugleich verehrt und verhasst, geliebt und abgelehnt wird? Das lässt sich schwer in zwei, drei Sätze fassen, da seine Persönlichkeit eine große Bandbreite umfasst. Ich bewundere vor allem den weiten Geist des Dalai Lama und das riesige Spektrum seiner Aktivitäten und Rollen. Es ist für mich kaum zu glauben, dass das alles in einem Menschenleben möglich ist.
Der Dalai Lama steht einerseits für sein unermüdliches Engagement, mit dem er Verantwortung für die tibetische Kultur, den tibetischen Buddhismus und Tibeterinnen und Tibeter in aller Welt übernimmt.
Darüber hinaus ist sein politischer Einsatz für Tibet zu nennen. Nach seiner Flucht ins Exis im Jahr 1959 hat er Bildungssysteme für die Tibeter eingerichtet, die Wiederaufnahme des umfangreichen Studienbetriebs sowie der Religionsausübung in Klöstern außerhalb Tibets organisiert und eine Demokratisierungsbewegung eingeleitet, in dessen Folge heute an seiner Statt ein demokratisch legitimierter politischer Führer gewählt wird. Die Aufgabe aller politischen Ämter ist mehr als eine Geste, da sie mit einer Öffnung und Weiterentwicklung der politischen Strukturen zu mehr Demokratie einhergeht. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass der Einsatz für ein selbstbestimmtes Tibet nicht vom Dalai Lama als Person abhängig ist, sondern über demokratisch legitimierte Institutionen weitergeführt werden kann, was gerade im Westen positiv aufgenommen wurde.
Die Aufgabe seiner politischen Ämter entkräftet zugleich den Vorwurf der chinesischen Regierung, es gehe dem Dalai Lama nicht um Tibet, sondern um Wiederherstellung seiner feudalistsichen Privilegien. Schon zuvor hat der Dalai Lama mit seiner friedlichen Diplomatie des „Mittleren Weges“ – vekürzt: die Vision eines selbstbestimmten Tibets innerhalb der VR China – ein echtes Gesprächsangebot zur friedlichen Lösung der Tibet-Frage eröffnet, das von der chinesischen Führung bis heute nicht angenommen wird.
Und nicht zuletzt schließlich steht der Einsatz des Friedensnobelpreisträgers von 1989 für den Weltfrieden im Rahmen seiner säkularen Ethik – unabhängig jeder Religion – der Werte wie Mitgefühl und Empathie für alle Menschen als soziale Lebewesen proklamiert.
Die Bedeutung des Dalai Lama heute
Auch nach seinem politischen Rückzug bleibt der Dalai Lama eine wichtige Identifikationsfigur für Tibeterinnen und Tibeter weltweit – und das Symbol schlechthin für die Hoffnung auf ein freies Tibet. Durch sein verbindliches Auftreten, seine weisen, berührenden Schriften und seine authentische Persönlichkeit ist er bei Menschen in aller Welt beliebt und genießt hohe Glaubwürdigkeit. Viele Jahre lang war er ein gern gesehener Staatsgast, der die Botschaft Tibets vermittelen konnte wie kein Zweiter.
Die chinesische Regierung ist sich dieser Bedeutung bewusst und versucht, den Dalai Lama international zu isolieren, etwa indem Druck auf Regierungen ausgeübt wird, damit sie ihn nicht mehr einladen. In der Tat sind seine internationalen Gastbesuche seltener geworden.
Auch Unternehmen bekommen den Druck der chinesischen Führung zu spüren: 2018 blamierte sich der Daimler-Konzern, nachdem er in einer Werbung ein Zitat des Dalai Lama verwendet hatte. Vor der darauf folgenden heftigen Emörungswelle aus China knickte Daimler ein und entschuldigte sich, man habe „die Gefühle der Chinesen verletzt“.
Das Bemühen Pekings, den Dalai Lama zu diskreditieren, ist vor dem Hintergrund seiner Nachfolge zu sehen. Die chinesische Führung möchte den Auswahlprozess des nächsten Dalai Lama kontrollieren und womöglich einen eigenen Dalai Lama installieren – so wie sie es vor 25 Jahren mit dem Panchen Lama gemacht hat.
Der Dalai Lama äußert sich regelmäßig selbst zur Frage seiner Nachfolge und lässt dabei viele Möglichkeiten offen: Wird der Nachfolger zum ersten Mal außerhalb Tibets gefunden? Wird er als Frau wiedergeboren? Wird er sogar gewählt? Oder wird es keinen Nachfolger mehr geben? Wie immer die Antwort ausfällt, eines ist klar: Nur ein durch einen von den Tibetern selbst bestimmten Auswahlprozess gekürter Dalai Lama wird Anerkennung finden – international und bei den Tibetern selbst. Auch wir unterstützen die Selbstbestimmung der Tibeter bei der Entscheidung, ob und in welcher Form das Amt des Dalai Lama weitergeführt wird.
Geliebt, verehrt, verhasst: Die kontroversen Einstellungen dem Dalai Lama gegenüber spiegeln die große Bedeutung wider, die er auch heute noch besitzt – für seine Freunde, aber vor allem auch für seine Feinde. Wir von der Tibet Initiative haben nichts als Bewunderung für das Wirken dieses großen Mannes über.
Wir wünschen Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, gute Gesundheit, ein langes Leben und dass er es noch erleben darf, dass sein Traum eines autonomen, selbstbestimmten Tibets Wirklichkeit wird.
Tashi delek, happy birthday!
In der aktuellen Ausgabe unseres Magazins „Brennpunkt Tibet“ finden Sie eine Würdigung des Dalai Lama von Prof. Dr. Jan T. Andersson, Mitgründer des Schwedischen Tibet-Komitees, Tibet Initiative Deutschland und der International Campaign for Tibet Deutschland, deren Vorstandsvorsitzender er ist. Hier können Sie die Ausgabe bestellen.
Last modified: 6. Juli 2020