Interview mit Jens Brandenburg, Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Studium, berufliche Bildung und lebenslanges Lernen

Herr Brandenburg, als Experte in Bildungsfragen, für wie wichtig halten Sie das Studium der Sinologie und das Erlernen anderer Sprachen, besonders Chinesisch an deutschen Universitäten?
Die sprachliche und kulturelle Verständigung ist ausgesprochen wertvoll. Sie erweitert den eigenen Horizont und hat nachweislich kognitive Vorteile. Wenn Studierende Fremdsprachen erlernen, kann ich das nur unterstützen. Jeder 7. Mensch auf unserem Planeten spricht Chinesisch als Muttersprache. Ein Studium der Sinologie ist also sicher eine gute Investition.
Wenn Sie Kinder hätten, welche Art von Ausbildung würden Sie ihnen zukommen lassen wollen, würden Sie sie an einem Konfuzius-Institut studieren lassen?
Ihren Ausbildungsweg sollten sie selbstbestimmt wählen können. Vielleicht liegt ihnen eine berufliche Ausbildung eher als ein Studium. Als Bildungspolitiker kämpfe ich für die Freiheit von Forschung und Lehre. Die direkte Einflussnahme der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) auf das Lehrangebot der Konfuzius-Institute an deutschen Hochschulen ist ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Eine unabhängige wissenschaftliche Ausbildung ist dort nicht möglich, auch wenn es vordergründig nur um Sprachunterricht geht.
Tibet-Aktivisten kritisieren, dass sich relevante Themen wie zum Dalai Lama, zu Menschenrechtsverletzungen in Tibet oder das Tian’anmen-Massaker von 1989 gar nicht oder nur sehr verzerrt im Lehrplan der Konfuzius-Institute widerspiegeln. Welche Bedingungen müssen die Institute Ihrer Meinung nach erfüllen, um ihre Funktion in Deutschland legitim ausüben zu können?

Die Propaganda eines autoritären Regimes hat an unseren Hochschulen nichts verloren. Solange Konfuzius-Institute einem Einfluss der KPCh unterliegen, sollten deutsche Hochschulen ihnen keine Plattform bieten. Regimekritische Inhalte wie die Tibet-Frage oder schwere Menschenrechtsverletzungen müssen in sinologischen Studiengängen vorbehaltlos thematisiert werden können.
Deutsche Hochschulen, Länder und Kommunen sollten den Konfuzius-Instituten also den Geldhahn zudrehen und bestehende Kooperationen beenden. Um die sprachliche und kulturelle Völkerverständigung zu fördern, sollten wir stärker als bisher in China verfolgten Wissenschaftlern, Künstlern und Menschenrechtlern eine Heimat geben.
Sie schreiben auf Ihrer Website: „Was als harmloser Sprachkurs oder kulturelle Abendveranstaltung daherkommt, ist Teil der Propagandastrategie eines autoritären Regimes.“ Worin besteht diese Strategie Ihrer Meinung nach?
Die Verharmlosung ist Teil des Problems. In Sprachkursen wird immer auch ein Bild des Landes vermittelt. Mit finanziellen Abhängigkeiten und einer ideologischen Vorbereitung des von chinesischer Seite gestellten Personals an den Konfuzius-Instituten stellt die Kommunistische Partei sicher, dass regimekritische Stimmen in den Instituten kaum Gehör finden. Vereinzelt gibt es Kenntnisse über nachrichtendienstliche Tätigkeiten. Sehr viel subtiler ist die politische Einflussnahme über die Agendasetzung der Institute, die unter dem Label deutscher Hochschulen in der breiten Öffentlichkeit als unabhängig wahrgenommen werden.
Sind wir machtlos, wenn es darum geht, China zur Einhaltung von Meinungsfreiheiten zu bewegen? Wie und von wem kann sichergestellt werden, dass Chinas krasse Verletzung von Menschenrechten und Freiheiten an Tibetern gestoppt wird?
Die Bundesregierung und die Europäische Union dürfen nicht zusehen, wie in China Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten werden. Wir müssen die Menschenrechtsverletzungen immer wieder in der Öffentlichkeit und in Resolutionen thematisieren – egal, ob es der chinesischen Regierung gefällt oder nicht. Druck können wir außerdem auf wirtschaftlicher Ebene ausüben. Das Mindeste wäre, die deutsche Entwicklungshilfe an China endlich einzustellen. Auch Anbieter wie Huawei oder auch die Hersteller von chinesischer Überwachungstechnologie dürfen keine deutschen Staatsaufträge mehr erhalten.
Wir finden häufig das Problem, dass Menschen, die weiterhin Tibet bereisen möchten oder anderweitig zu China in Beziehung stehen ihre Meinung nicht frei äußern möchten. Wie sehen Sie die Situation von Sinologen, die ihre Meinung unabhängig davon, was von der KPCh erlaubt ist, kundtun möchten?
Die strenge Einreisepolitik des chinesischen Regimes schränkt die Handlungsfähigkeit unabhängiger Wissenschaftler natürlich ein. Davon sollte sich aber niemand einschüchtern lassen. Umso wichtiger ist es, solche Interessenskonflikte transparent zu kommunizieren, dafür zu sensibilisieren und Abhängigkeiten nicht weiter zu verharmlosen. Die Arbeit an deutschen Hochschulen darf keiner noch so subtilen Zensur unterworfen sein. Europa und Deutschland brauchen gegenüber China einen klaren Kompass, der sich an Freiheit und Demokratie ausrichtet. Internationale Journalisten sollten zudem endlich freien Zugang nach Tibet bekommen, um unabhängig über die Situation vor Ort zu berichten
In letzter Zeit versucht die chinesische Regierung offenbar auch vermehrt, internationale Politiker und Beamte gezielt anzusprechen und zu beeinflussen. Haben Sie selbst schon einmal den Druck aus Peking zu spüren bekommen? Wie würden Sie auf solche Versuche reagieren?
Eine direkte Ansprache aus der Botschaft habe ich bisher nicht erhalten, aber die chinesische Politik weiß ihre Netzwerke auch in hochschulpolitischen Fragen gezielt einzusetzen. Meine Fraktionskollegin Gyde Jensen, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, hat die Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung immer offen thematisiert. Auf ihre Gesprächsangebote und die Bitte um eine Ausschussreise nach China und Tibet hat die chinesische Botschaft nicht reagiert. Stattdessen wurde versucht, sie am Telefon unter Druck zu setzen und an vertrauliche Informationen zu kommen. Unser Fraktionsvorsitzender, Christian Lindner, wurde auf seiner Chinareise von einem KP-Funktionär angeschrien, weil die FDP-Delegation zuerst Hongkong besucht hatte. Solche Erfahrungen sind unangenehm, aber wir halten das aus und stehen für unsere Positionen ein.
Brauchen wir – Ihrer Meinung nach – hierzulande bessere Strategien gegen solche Versuche der Einflussnahme?
Politiker brauchen – nicht nur in dieser Frage – ein starkes Rückgrat und dürfen sich nicht beeinflussen lassen. Auch hier sollten Interessenskonflikte stärker thematisiert werden. In einer globalisierten Welt wird China immer ein wichtiger Gesprächspartner bleiben. Eine möglichst unabhängige Position setzt voraus, dass wir Europäer in wichtigen Lieferketten wie beispielsweise der Medikamentenversorgung sehr viel eigenständiger werden. Auch die massiven Forschungsinvestitionen in Künstliche Intelligenz und Biotechnologie sollten wir nicht alleine anderen überlassen.
Was können Sie als FDP-Bildungssprecher im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung tun, um die massive politische und wirtschaftliche Einflussnahme seitens China zu unterbinden?

Keinem anderem autoritären Regime erlauben wir einen so direkten Einfluss auf die Lehre an unseren Hochschulen wie den Konfuzius-Instituten der chinesischen Regierung. Das muss ein Ende finden. Auch chinesische Austauschstudierende in Deutschland sollten wir stärker vor der Einflussnahme, Überwachung und Drohungen durch ihre Regierung schützen. Die Wissenschaftsgemeinschaft braucht einen offenen Diskurs zu diesen Fragen, um Einflussnahmen und auch Forschungsspionage frühzeitig zu erkennen und vorzubeugen.
Wenn Sie die tibetische Frage entscheiden könnten, wie sähe Ihre Lösung der Tibet-Frage aus? Gibt es – Ihrer Ansicht nach – legitime wirtschaftliche Aktivitäten der Chinesen in Tibet?
Die chinesische Regierung sollte mit den Tibetern in einen erneuten Dialog eintreten, ihren Wunsch nach größtmöglicher Autonomie und ihre Rechte auf Religionsfreiheit, Schutz ihrer Kultur und Sprache uneingeschränkt respektieren. Denn Menschenrechte gelten universal und weltweilt. Auch bei wirtschaftlichen Maßnahmen müssen Menschenrechte und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Die Unterdrückung der Tibeter und die Menschenrechtsverletzungen ihnen gegenüber müssen daher sofort aufhören. Die Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen ist ein Angriff auf die Freiheit der ganzen Weltgesellschaft.
Hat China das Recht, Tibeter an der Auswanderung beispielsweise nach Indien zu hindern?
In einem Teil Deutschlands wurden fast 40 Jahre lang Menschen mittels Schießbefehl daran gehindert, das Land zu verlassen. Das ist ein sehr dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte. Diese Situation sollte es nirgendwo auf der Welt geben. Es ist nicht hinzunehmen, dass Menschen gewaltsam an der Ausreise gehindert werden, wenn sie ein Land verlassen wollen.
Wie sehen Sie die Situation der tibetischen Regierung im indischen Exil?
Es ist wichtig, dass es in der aktuellen Situation eine tibetische Exilregierung gibt. Wenn die chinesische Regierung in einen vertieften Dialog mit der Exilregierung eintreten würde, wäre das ein wichtiger Schritt, um die Menschenrechtsverletzungen und Konflikte endlich zu beenden.
Durch ihre Vertuschungspolitik in der Corona-Krise gerät die chinesische Regierung zunehmend unter Druck. Sehen Sie eine Chance, dass sich in diesem Zuge etwas an den globalen Verhältnissen ändert?
Im Zuge der Pandemie wird international kontrovers und offen über das Verhalten der KPCh diskutiert. Das ist eine gute Entwicklung. Es fällt Peking zunehmend schwerer, sich als Wohltäter in der Krise zu gerieren. Zudem wird offen darüber debattiert, wie die chinesische Führung die schwierige humanitäre und wirtschaftliche Lage in Entwicklungs- und Schwellenländern zu nutzen versucht, um diese noch mehr an sich zu binden und unter Druck zu setzen. Das ist eine Verstärkung dessen, was wir bereits im Rahmen des Projekts der sogenannten „Neuen Seidenstraße“ gesehen haben. Positiv ist, dass wir auch in der EU zunehmend kritisch hinterfragen, ob wir in Bereichen nicht zu abhängig von China geworden sind, etwa in der Pharma-Industrie. Wichtig ist die Debatte über die Rolle und die Zukunft der WHO. Wenn China, wie stets betont, nichts zu verbergen hat, dann sollte es eine internationale Untersuchung zum Ursprung der Pandemie geben können, damit diese Erkenntnisse genutzt werden können. Ob China am Ende geschwächt aus der Krise hervorgehen wird, ist unklar. Wie bereits vor der Corona-Pandemie wird es jetzt entscheidend darauf ankommen, wie die EU die zukünftige Zusammenarbeit mit China gestaltet.
Wie könnte diese Veränderung aussehen: Glauben Sie eher an einen Demokratisierungsprozess oder an einen neuen kalten Krieg zwischen China und den westlichen Staaten?
Im Moment ist unglaublich viel Dynamik in den wirtschaftlichen und politischen Prozessen weltweit. Manche Stimmen meinen, dass die KPCh mit ihrem Verhalten in der Krise auch im eigenen Land allmählich an Grenzen stößt und dies mittelfristig Änderungen herbeiführen könnte. Wie sich Washington und Peking mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zunehmend hochschaukeln, bereitet mir große Sorgen. Das sollten wir sehr aufmerksam beobachten. Erst gerade hat US-Präsident Trump sogar formuliert, er könne sich vorstellen, die Beziehungen zu China komplett einzustellen. Die Befürchtung, dass es früher oder später zwischen China und den USA aufgrund des Wettbewerbs um die globale Vorherrschaft zu einem „echten“ Krieg kommen könnte, ist natürlich ein Worst-Case-Szenario. Dazu darf es keinesfalls kommen.
Die Fragen stellte Anja Oeck.
Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien in der Juni-Ausgabe unseres Magazins „Brennpunkt Tibet“. Jetzt bestellen!
Last modified: 26. August 2021