Ein Meinungsbeitrag von Tenzyn Zöchbauer
Die Olympischen Spiele in Peking sind vorbei. Am Sonntag trugen die Athleten wieder die Flaggen der Nationen durch das Pekinger Vogelnest, die griechische, die deutsche, die chinesische Flagge. Wieder war es eine große Show. Doch eine Flagge fehlte wieder einmal: die tibetische.
So unsichtbar wie die Unterdrückung in Tibet, Hongkong oder Ostturkestan (Xinjiang) bei der offiziellen Abschlussfeier war – so erfolgreich war Chinas Heile-Welt-Propaganda während der Spiele, zumindest nach innen. Natürlich: International berichteten Medien kritisch, Nichtregierungsorganisationen übten Kritik, Staatspräsidenten blieben den Spielen fern.
Doch was von alledem ist bei den Menschen in China, in Tibet angekommen? Wahrscheinlich nichts. Wenn selbst der Kommunistischen Partei freundlich gesinnte Athleten wie die chinesisch-amerikanisch Ski-Fahrerin Eileen Gu zensiert werden, dann ist an kritische Stimmen innerhalb des chinesischen Internets nicht zu denken. Durch die nahezu perfekte Zensur ist in Tibet wohl kaum etwas angekommen von all der ausländischen Kritik am chinesischen Regime und seiner Unterdrückung.
Und auch umgekehrt funktioniert die Zensur: Aus Tibet und anderen unterdrückten Regionen dringt so gut wie nichts ins Ausland. Denn die chinesische Polizei kontrolliert mit harter Hand jegliche Kommunikation mit Menschen außerhalb Chinas. Die amerikanische Nachrichtenseite Radio Free Asia berichtete, dass Tibeter während der Spiele nicht mit ihren Freunden und Verwandten außerhalb Chinas sprechen durften. Große Furcht herrsche unter den Menschen, auch nur einen Anruf aus dem Ausland zu bekommen. Jene Tibeter, die in der Vergangenheit in Indien gelebt haben, müssen sich jeden Tag bei ihrer lokalen Polizeistation melden. Die Polizei kontrolliert regelmäßig Handys und Gruppenchats. Das Ziel: Jegliche Kommunikation mit dem Ausland unterbinden.
So wissen wir de facto nicht, wie es den Menschen in Tibet während der Olympischen Spiele geht. Werden sie noch härter gefoltert? Werden Kinder noch radikaler ihren Eltern weggenommen? Werden noch mehr Klöster zerstört? All das ist ungewiss.
Die diesjährigen Winterspiele haben bei Tibetern weltweit schmerzhafte Erinnerungen an 2008 hervorgerufen. Damals fanden die Olympischen Spiele schon einmal in China statt. In Folge wurde Tibet zu einem offenen Hochsicherheitsgefängnis umgebaut. Seit 2009 zündeten sich mehr als 155 Tibeterinnen und Tibeter aus Protest gegen die Unterdrückung an.
Noch können wir nicht sagen, wie die Menschen in Tibet auf die am Sonntag zu Ende gegangenen Olympischen Spiele reagieren werden. Doch wir wissen vom Leid in Tibet und China – schon vor den Spielen. In den vergangenen zwei Wochen haben Athleten und Journalisten am eigenen Körper miterlebt, wie sich das Leben unter ständiger Überwachung, Maßregelung und Einschränkungen durch die Kommunistische Partei anfühlt. Und dennoch befinden sich alle ausländischen Teilnehmer der Spiele in einer äußerst privilegierten Lage. Sie können das Land nach den Spielen verlassen und in Deutschland ihr freies Leben weiterführen. Ein – unerfüllter – Traum für viele Tibeter oder Uiguren.
Umso beschämender ist es, dass aus Deutschland keine klaren Zeichen gegen die Spiele kamen – insbesondere solche, die auch innerhalb Chinas Widerhall gefunden hätten.
In besonderer Verantwortung stehen die Sponsoren der Spiele, sie machen das Propaganda-Spektakel der chinesischen Regierung und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) erst möglich. Einziger deutscher Sponsor ist die Allianz. Das Unternehmen hätte längst Position beziehen und das Sponsoring der Spiele in einem Land mit Internierungslagern beenden müssen. Die Erfahrung zeigt: Es ist wahrscheinlich, dass der Konzern nach einem Olympia-Boykott mit einem offiziell koordinierten Shitstorm aus China hätte rechnen müssen. Was für das Geschäft der Allianz in China schlecht gewesen wäre, hätte den Tibetern, Uiguren und Menschenrechtsaktivisten in China gezeigt, dass die Menschen im Ausland sie nicht vergessen haben – dass sie ihr Leid nicht ignorieren.
Und auch die Athleten waren in der Verantwortung. Natürlich sind sie selbst ebenfalls Opfer der IOC-Show; aber trotzdem, sie tragen Verantwortung und sind Vorbilder einer ganzen Generation. Auch deutsche Athleten hätten während der Spiele – wie jene aus der Türkei oder aus der Ukraine – politische Zeichen setzen können.
Die Verantwortung dafür, dass es selbst zu diesem Mindestmaß an Anstand gegenüber den unterdrückten Menschen in China nicht gekommen ist, trägt vor allem eine Organisation: Das Internationale Olympische Komitee. Selbst nach der offenen Drohung Pekings, gegen kritische Äußerungen von Athleten vorzugehen, schwieg das IOC weiter. Athleten seien vielmehr Schauspieler, die ihre Rolle gut zu spielen hätten, so IOC-Präsident Thomas Bach. Politik und Sport seien zu trennen hieß es im altbekannten Mantra.
Dabei sind es doch das IOC und die chinesische Regierung, die diese Spiele politisiert haben: Eine uighurische Fackelläuferin, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergessen lassen soll. Ein Treffen zwischen Xi Jinping und Vladimir Putin, die eine Verschiebung des weltweiten Machtgefüges in Richtung Autokratien verkündeten. Und Taiwan, das während der Eröffnungsfeier – symbolisiert durch eine weiße Taube – eingefangen wird.
Es ist richtig, dass sich kein deutscher Politiker dieses Spektakel aus der Nähe angeschaut hat. Richtig ist aber auch: Weder Bundeskanzler, Sport- oder Außenministerin haben offiziell abgesagt oder einen diplomatischen Boykott verkündet. Wieder wurde es verpasst, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, das die Menschen in Tibet und China hätten hören können.
Die junge Welt war zu Gast bei China. Doch nahezu alle Akteure haben versagt. Sie haben verpasst, das Signal an die Welt zu senden, welches Olympische Spiele aussenden sollten: Ein Signal für Frieden, Menschenrechte und sportliches Miteinander. Was in Peking verpasst wurde, darf sich nicht wiederholen. Politik, Sport, Wirtschaft – alle gemeinsam müssen diese Spiele aufarbeiten und verhindern, dass ein solches Propaganda-Spektakel jemals wieder stattfinden kann. Das sind wir den Menschen in Chinas Gefängnissen schuldig.
Tenzyn Zöchbauer ist Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland. Sie ist Tochter einer Tibeterin und seit ihrer Jugend in der internationalen Tibet-Bewegung aktiv.
Last modified: 21. Februar 2022