Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
was sich vor einigen Tagen bei den Freundschaftsspielen des TSV Schott Mainz gegen die China U20 abgespielt hat, ist nur ein Beispiel für den zunehmenden Einfluss der chinesischen Regierung in Deutschland, den wir schon seit längerer Zeit auf verschiedenen Ebenen mit höchster Besorgnis beobachten. Der einzige Unterschied ist, dass in diesem Fall die Drohgebärden von chinesischen Offiziellen direkt per Kamera festgehalten wurden und die unverhältnismäßige Reaktion der chinesischen Delegation eine mediale Aufmerksamkeit geschaffen hat, die Tibet selten erfährt.
Wie Sie wissen, haben Tibet-Aktivisten der Tibet Initiative Deutschland e.V., gemeinsam mit Exil-Tibetern, das Spiel besucht und friedlich die tibetische Flagge gezeigt. Sie haben damit lediglich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Das führte dazu, dass ein chinesischer Offizieller auf die Gruppe zuging und gewaltsam versuchte, die Flaggen zu entreißen. Daraufhin verließ die chinesische Mannschaft den Platz, und unsere sichtlich verängstigten Mitglieder, eingeschüchtert und nicht auf Provokation aus, nahmen letztlich selbst die Flaggen herunter, um einer weiteren Eskalation vorzubeugen. Aus Angst vor weiteren Angriffen hatten sie sich sogar an die Security gewandt, um unter ihrem Schutz aus dem Stadion geleitet zu werden.
Was bedeutet solch ein Vorgang für unsere Demokratie?
Das Zeigen einer Flagge ist grundsätzlich im öffentlichen Raum erlaubt. Auch Fußballstadien sind Teil des öffentlichen Raums. Dass sich die chinesische Regierung bereits durch sechs Aktivisten und vier Tibet-Flaggen provoziert fühlte und rigoros das Spiel unterbrach, ist bedauerlich. Dass sie, nachdem die Tibet-Aktivisten das Stadion verlassen hatten, das Spiel fortsetzen ließ und im Nachgang Deutschland respektlose Behandlung seiner Gäste vorwarf, ist dann nur noch absurdes Theater.
Sowohl der TSV Schott Mainz als auch einige andere Fußballvereine und Fanvereinigungen haben die eigentliche Problematik sofort erkannt und sich spontan mit den Tibet-Aktivisten solidarisiert. Denn was uns alle eint, ist, dass wir das Glück haben, in einem demokratischen Land zu leben, in dem jeder seine Meinung frei äußern darf, auch wenn das für ein autokratisches System wie China nicht nachvollziehbar ist. Auch der Deutsche Fußballbund hatte zunächst unmissverständlich klargemacht, dass es an dem Recht auf Meinungsfreiheit nichts zu rütteln gibt. Dass die Freundschaftsspiele nun vorerst ausgesetzt und auf das kommende Jahr verschoben werden, betrachten wir jedoch als faulen Kompromiss. Die chinesische Regierung wird wohl kaum von ihrer Position abweichen. Auf welche Weise soll dieses Problem 2018 anders zu lösen sein, wenn die chinesische Regierung das Recht auf Meinungsfreiheit doch grundsätzlich nicht respektiert?
Festzuhalten ist, dass China selbst die Freundschaftsspiele zum Politikum gemacht hat und der Sport sich jetzt nicht seiner Verantwortung entziehen kann. Fest steht aber auch, dass das vor allem ein politisches Problem ist, zu dem die Bundesregierung bisher schweigt. Einzig zu lesen ist, dass sich die Bundesregierung sehr über die fußballerische Kooperation zwischen China und Deutschland freue und dass ansonsten die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern auch nicht durch einen solchen Eklat getrübt würden.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung sich ihrer Verantwortung stellt und ihrerseits unmissverständlich klarmacht, dass unsere Grundrechte nicht an die jeweiligen Vorlieben autokratischer Regime angepasst werden. Wenn die Bundesregierung, aus welchen Erwägungen auch immer, dieses Spiel mitspielt, muss sie sich nicht wundern, wenn unsere hart erkämpften Rechte ins Wanken geraten. Zudem muss sie auch den DFB stützen, der sich jetzt erheblicher Kritik ausgesetzt sieht. Machen Sie klar: Meinungsfreiheit ist unverhandelbar!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Ereignisse in Mainz stehen in einer Reihe von Vorgängen, die verdeutlichen, wie die Einflussnahme Chinas in Deutschland immer mehr zunimmt. Hier nur drei Beispiele:
/ Die Tibet Initiative Deutschland ruft seit 1996 Städte, Gemeinden und Landkreise dazu auf, am 10. März – dem Gedenktag an den Volksaufstand der Tibeter von 1959 – die tibetische Flagge zu hissen. Bis heute haben sich über 1000 beteiligt, prominente Unterstützer aus Politik und Gesellschaft stellen sich hinter die Kampagne. Seit einigen Jahren verschickt die chinesische Botschaft Briefe an teilnehmende Städte und versucht, sie, teils unter Androhung gefährdeter deutsch-chinesischer Beziehungen, von einer Teilnahme abzuhalten.
/ Wir halten es für einen untragbaren Zustand, dass Politiker, die sich kritisch zur Menschenrechtslage in Tibet äußern, zur persona non grata werden. Selbiges ist Ihrem Parteikollegen Michael Brand widerfahren, der nach einem Besuch unserer Mitgliederversammlung kein Visum mehr bekam. Damals noch Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses, wäre er der Delegationsleiter einer Ausschussreise nach China und Tibet gewesen. Nicht nur, dass die Reise abgesagt wurde, sondern auch, dass Herr Brand persönlich dazu aufgefordert wurde, Inhalte, die im Zusammenhang mit Tibet stehen, von seiner Webseite zu entfernen.
/ Dass die chinesische Regierung zudem immer wieder versucht, unser Recht auf Meinungsfreiheit bei Demonstrationen einzuschränken, ist ebenso bekannt. Chinesische Botschaftsangehörige sorgen dafür, dass wir außer Sichtweite chinesischer Staatsgäste platziert werden, während laufender Demonstrationen erhalten wir plötzlich zusätzliche Auflagen und können dabei beobachten, wie chinesische Offizielle versuchen, Druck auf die Polizei auszuüben.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, China verbittet sich regelmäßig jegliche Kritik an der Menschenrechtssituation in China, Xinjiang und Tibet. Das betreffe „innere Angelegenheiten“, und jeder, der mit der chinesischen Regierung Handel treiben oder auch nur Sportabkommen abschließen möchte, hat das zu respektieren. Deutschland vertritt von jeher die Ein-China-Politik, erfüllt also in vollem Maße seinerseits die Anforderungen Chinas. Doch welche Anforderungen erfüllt eigentlich umgekehrt China?
Der Dialog mit der chinesischen Regierung scheint längst nicht mehr auf Augenhöhe geführt zu werden. Zum Dialog gehört, dass sich beide Seiten aufeinander zubewegen. Wir fordern Sie dazu auf, deutlich zu machen, dass sich die Bundesregierung gesetzüberschreitendes Verhalten auch von chinesischen Gästen verbittet und dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, das Sie verteidigen und nicht etwa verhandeln werden.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bitte brechen Sie das diplomatische Schweigen und nehmen Sie zu diesen Vorgängen öffentlich Stellung.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Grader Nadine Baumann
Vorsitzender Geschäftsführerin
Last modified: 9. März 2018