
Die Tibeterin Namkyi saß als politische Gefangene drei Jahre im chinesischen Gefängnis. Nach Jahren der Verfolgung und Inhaftierung konnte sie schließlich im Juni 2023 nach Indien fliehen. Am 15. Februar 2025 sprach sie zum ersten Mal öffentlich in Europa über ihren mutigen Protest gegen die chinesische Besatzung, die grausamen Bedingungen in den Gefängnissen und ihren riskanten Weg ins Exil.
Rund 60 Personen warten an diesem besonderen Abend auf den Ehrengast aus Indien. Mit 15 Minuten Verspätung, bedingt durch Straßenblockaden im Zusammenhang mit der zeitgleich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz, erscheint Namkyi im Kulturzentrum GOROD. Man spürt die emotionale Anspannung im Raum, denn es ist klar, dass an diesem Abend Tränen fließen werden.
Tenzyn Zöchbauer, Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland, heißt Namkyi in München willkommen und erinnert daran, dass der Besuch Namkyis die Chance bietet, ungefiltert von der Situation in Tibet zu hören. Die Veranstaltung sei allen Tibeter*innen gewidmet, deren Geschichten uns im Exil nicht erreichen und deren Identitäten der Welt oft verborgen blieben, so Zöchbauer.
Namkyi betritt gemeinsam mit ihrer Übersetzerin Dukthen Kyi von der tibetischen Exilregierung die Bühne. Sie erzählt von ihrer Kindheit in einer typischen Nomadenfamilie in der Region Ngaba. Sie wuchs an einem Ort auf, der bekannt für seinen anhaltenden Widerstand gegen die chinesische Regierung ist und wurde schon früh mit den Erzählungen über die Unterdrückung Tibets konfrontiert. Gemeinsam mit ihrer Cousinen-Schwester Tenzin Dolma wagte sie 2015, im Alter von 15 Jahren, einen öffentlichen und friedlichen Protest in Tibet. Sie trugen ein Porträt des Dalai Lama durch die Straßen und forderten die Freiheit Tibets – ein Akt, der nur wenige Minuten dauerte, bevor beide verhaftet wurden.
„Während der Verhöre wurde ich getreten und geschlagen, während man mich immer wieder fragte, ob es mir gefalle“, erzählt Namkyi. „Sie drehten die Heizung im Verhörzimmer auf, bis es sich anfühlte, als würde ich bei lebendigem Leib gekocht werden. Sie verlangten Namen von Personen, die uns angeblich zum Protest angestiftet hatten oder die der sogenannten Dalai-Lama-Clique angehörten. Alle Offiziere, die mich verhörten und folterten, waren Männer.“
Mehr als ein Jahr verging, bevor die offizielle Gerichtsanhörung stattfand. Namkyi und Tenzin Dolma wurden wegen „Separatismus“ zu drei Jahren Haft verurteilt. „In dieser Zeit habe ich meine Schwester nicht ein einziges Mal gesehen“, erzählt sie. „Ständig wurde ich als Separatistin beschimpft, die die Harmonie und Einheit Chinas zerstören wolle.“

Im Gefängnis erlebte Namkyi Diskriminierung aufgrund ihrer tibetischen Herkunft. Ihren Vater durfte sie nur einmal sehen, doch da er kein Mandarin sprach, wurden weitere Besuche untersagt. Neben harter Zwangsarbeit und stundenlangen Umerziehungsprogrammen litt sie unter den unmenschlichen Haftbedingungen:
„Wir bekamen nur dünne Kleidung, die uns im eisigen Winter nicht schützte. Meine persönlichen Gegenstände wurden mir genommen. Ich musste dünne Schuhe tragen – oft konnte ich meine Finger und Zehen nicht mehr spüren. Manchmal erhielten wir warmes Wasser. Dann hielt ich für einige Sekunden meine Füße hinein, bevor ich das Wasser trank, nur um wenigstens für einen Moment etwas Wärme zu spüren. Zu essen gab es nur stark verdünnte Reissuppe, in der sich häufig Fliegen und Würmer fanden. Ich habe mich nie satt gefühlt. Jeden Tag war ich hungrig oder musste frieren. Die Menschen in Tibet werden wie Tiere behandelt.“

Mit ihren öffentlichen Auftritten ist Namkyi inzwischen Staatsfeind der chinesischen Regierung. Sie erzählt von der anhaltenden Bedrohung, auch nach ihrer Flucht ins Exil, und von den regelmäßigen Drohanrufen aus China. Ihre Familie wird instrumentalisiert, um ihr Nachrichten der chinesischen Behörden zu übermitteln. Ein freies Gespräch mit ihnen hatte sie seit ihrer Flucht nicht mehr:
„Ja, ich habe im Exil Sicherheit gefunden, aber die chinesische Regierung setzt all ihre Ressourcen ein, um Tibeter*innen zum Schweigen zu bringen“, sagt Namkyi. „Ich weiß, dass die chinesische Regierung meinem Leben schaden könnte, aber ich werde nicht schweigen. Wann immer und wo immer ich kann, werde ich über die Wahrheit sprechen, die ich in Tibet erlebt habe.“
Zum Abschluss ihrer Rede drückte Namkyi ihre tiefe Sorge um die zurückgebliebenen Tibeter*innen aus, insbesondere politische Gefangene und Überlebende von Selbstverbrennungen. Sie forderte die internationale Gemeinschaft und die UN auf, sich für den Schutz dieser Menschen einzusetzen, damit sie eine Überlebenschance haben.

Wir danken Namkyi dafür, dass sie ihre Geschichte mit uns geteilt hat. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit verdienen größten Respekt. Seit über 35 Jahren setzt sich die Tibet Initiative Deutschland dafür ein, Tibet eine prominente Plattform zu geben und das Schicksal des tibetischen Volkes in Erinnerung zu halten. Doch die repressive Politik der Kommunistischen Partei Chinas erschwert diese Arbeit zunehmend. Strenge Zensur und Überwachung verhindern den freien Austausch mit Tibetern in ihrer Heimat und machen es schwer, ein realistisches Bild der Situation vor Ort zu erhalten.
Gerade deshalb sind Zeug*innenberichte wie die von Namkyi von unschätzbarem Wert. Ihre Stimme ist eine der wenigen, die Licht in die Dunkelheit der chinesischen Besatzung bringt.
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Last modified: 20. Februar 2025