Wenn der besänftigende Einfluss des 14. Dalai Lama eines Tages wegfalle, könnten junge Tibeter zur Gewalt greifen. Diese Sorge äußerte Kelsang Gyaltsen am gestrigen Mittwoch, dem 8. Mai 2019, vor dem Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Video: Kelsang Gyaltsen bei der öffentlichen Anhörung zum Thema „Religionsfreiheit: Die menschenrechtliche Lage religiöser Minderheiten in China“
„Wir wollen nicht, dass unsere junge Generation zu Gewalt greift, um ihre Rechte zu erlangen“, gab der ehemalige Sondergesandte des Dalai Lama in Europa und Beirat der Tibet Initiative den Abgeordneten weiter zu Protokoll. Er stellte zugleich klar, dass der tibetische Widerstand bisher immer gewaltfrei geblieben sei. „Der Protest richtet sich gegen Unrecht, Unterdrückung und Willkür, nicht gegen Menschen.“
Damit dies auch in Zukunft so bleibe, könne die Entscheidung über eine Nachfolge des Dalai Lama nur von den traditionellen Institutionen des tibetischen Buddhismus getroffen werden. Er forderte die Bundesregierung auf, sich klar zu positionieren und schon heute klarzustellen, dass sie einen von der chinesischen Regierung bestimmten künftigen Dalai Lama nicht anerkennen wird.
Bei der öffentlichen Sitzung unter dem Vorsitz von Gyde Jensen (FDP) zeigten sich auch andere Experten besorgt über die massiven Verletzungen der Religionsfreiheit in China, denen neben den Tibetern auch die Uiguren in besonderem Maße ausgesetzt sind. „Das verfassungsrechtlich festgelegte Recht auf Religionsfreiheit wird ausgehöhlt zugunsten von stärkerer Kontrolle von Religionsfragen durch die Kommunistische Partei“, konstatierte etwa Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker.
„China zur Verantwortung ziehen“
Gyaltsen warnte weiter vor der Sinisierung des Tibetischen Buddhismus und der Gefahr eines kulturellen Genozids in Tibet. China wolle den Kern der tibetischen Identität zerstören. „Vor diesem Hintergrund ist es dringend, die Volkrepublik China für ihre systematischen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen.“ Deutschland könne dabei eine führende Rolle in der Europäischen Union spielen.
Auch Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, nahm Deutschland als „einziges Land“, das Menschenrechtsaspekte noch anspreche, besonders in die Verantwortung dafür, voranzugehen und Koalitionen zu bilden. In vielen europäischen Ländern würden menschenrechtliche Bedenken zugunsten von Wirtschaftsinteressen zurückgestellt, etwa beim sogenannten „Seidenstraßen“-Projekt.
Verständnis für die prekäre Lage der Tibeter äußerte Michael Brand von der CDU-/CSU-Fraktion. Angesichts von Selbstverbrennungen in Tibet fragte er: „Ich kenne kein Volk auf diesem Planeten, das die Gewalt gegen sich selber ausübt. Wie groß muss die Verzweiflung sein?“ Und Frank Schwabe von der SPD plädierte dafür, sich unabhängig von Weltanschauungen auf das zu konzentrieren, worum es geht: um die Menschenrechte.
Wir hoffen, dass seine Worte in Zukunft noch stärker Eingang in die deutsche Tibet-Politik finden.
Die vollständige Sitzung steht auch auf den Seiten des Bundestags als Video bereit.
Last modified: 9. Mai 2019