Der heutige 25. April 2019 markiert den 30. Geburtstag des 11. Panchen Lamas. Ein Grund zum Feiern ist das nicht: Vor 24 Jahren wurde der damals 6-jährige Gedhun Choekyi Nyima von der chinesischen Regierung entführt – und ist seither verschollen. Nun zeigt erstmals eine Foto-Rekonstruktion, wie das zweithöchste spirituelle Oberhaupt der Tibeter heute aussehen könnte.

Jung – alt: Eine aktuelle Foto-Rekonstruktion zeigt, wie der Panchen Lama heute aussehen könnte. (Foto: @BBC)
Am 17. Mai 1995 verschwindet der berühmteste Sechsjährige der Welt spurlos – und mit ihm seine Familie. Nur drei Tage zuvor war Gedhun Choekyi Nyima vom Dalai Lama als Inkarnation des 1989 verstorbenen 10. Panchen Lama anerkannt und in den Rang des zweithöchsten spirituellen Oberhauptes der Tibeter erhoben worden.
Der Aufschrei der internationalen Presse ist zunächst groß. Gerüchte machen die Runde, dass der Panchen Lama von der chinesischen Regierung entführt und zum jüngsten politischen Gefangenen der Welt gemacht worden sei. Die Gerüchte bewahrheiten sich. Nach Darstellung der chinesischen Behörden wurde er in Schutzhaft genommen – auf Bitten seiner Eltern.
Offizielle Statements von chinesischer Seite zum Verbleib von Gedhun Choekyi Nyima bleiben danach eine Seltenheit. 2005 teilt die chinesischen Regierung der UN-Sonderberichterstatterin Asma Jahangir mit, er besuche eine weiterführende Schule und führe ein normales Leben. 2009 versichert Chinas Regierung der UN-Arbeitsgruppe, Gedhun lebe mit seiner Familie in Tibet, stehe nicht unter Hausarrest und erhalte eine gute kulturelle Bildung. 2015 gibt ein ranghoher chinesischer Offizieller Journalisten auf Nachfrage zu Protokoll: „Er führt ein normales Leben, wird unterrichtet und wünscht nicht gestört zu werden.“
Beweise unabhängiger Beobachter sowie ein Lebenszeichen von Gedhun Choekyi Nyima stehen bis heute aus.
Der Panchen Lama – Schlüssel zur Zukunft Tibets
Die Verschleppung des Jungen wirft Fragen auf, zumal die chinesische Regierung das traditionelle Vorgehen beim Auffinden des neuen Panchen Lama ausdrücklich gebilligt hatte. Sie hatte sogar zugestimmt, dass die tibetische Exilregierung um den Dalai Lama an der Auswahl beteiligt wird. Warum also die Entführung? Und warum setzte Peking kurz darauf einen eigenen Panchen Lama ein?
Ein Schlüssel zum Verstehen ist die Rolle, die der Panchen Lama (auch „Penchen Lama“ oder „Penchen Rinpoche“) in der tibetischen Tradition spielt, insbesondere bei der Suche der Reinkarnation des Dalai Lama. Vereinfacht dargestellt, entscheiden der Panchen Lama und der Dalai Lama über die rechtmäßige Inkarnationen des jeweils anderen. Ein von der chinesischen Regierung gesteuerter Panchen Lama könnte somit als Nachfolger des 14. Dalai Lama eine willfährige Marionette von Pekings Gnaden präsentieren – und damit die Zukunft Tibets auf Spiel setzen.
So verwundert es nicht, dass der von Peking eingesetzte Panchen Lama, Gyaltsen Norbu, einer tibetischen Familie von Mitgliedern der Kommunistischen Partei entstammt. Mit öffentlichen Auftritten in Tibet und Peking versuchten die chinesischen Behörden in der Vergangenheit, ihn bei der tibetischen Bevölkerung hoffähig zu machen – ohne Erfolg: Die Tibeter lehnen Chinas Panchen Lama ab und verlangen stattdessen die Wiedereinsetzung des verschleppten rechtmäßigen Panchen Lama, Gedhun Choekyi Nyimas.
Im Zuge der Nachfolge-Diskussion um den Dalai Lama, der in diesem Jahr seinen 84. Geburtstag feiert, könnte die chinesische Regierung allerdings versuchen, „ihren“ Panchen Lama als legitimen Verantwortlichen für die Auswahl des Nachfolgers zu positionieren.
Ein 24 Jahre altes Foto als Vermächtnis
24 Jahre nach seiner Entführung ist das öffentliche Interesse am Verbleib des von den Tibetern anerkannten Panchen Lama, Gedhun Choekyi Nyima, weitgehend verstummt. Das letzte Lebenszeichen bleibt ein Foto des Sechsjährigen kurz vor seinem Verschwinden. Doch genau dieses könnte die Diskussionen um sein Wohlbefinden und seinen Aufenthaltsort nun erneut in Gang bringen.
Denn zum 30. Geburtstag des Panchen Lama am heutigen Donnerstag rekonstruierte der britische Zeichner Tim Widden für die BBC-Sendung „The One Show“ dessen Aussehen auf Basis dieses letzten Fotos. Das neue Bild zeigt, wie Gedhun Choekyi Nyima heute, im Alter von 30 Jahren, aussehen könnte. Seine Entstehungsgeschichte zeigt dieses Video:
Kurz nach dem Erscheinen des Bildes wurde eine Petition veröffentlicht, die die Europäische Union und das Vereinigte Königreich dazu auffordet, sich wieder stärker für die Freilassung des Panchen Lama einzusetzen. Die Seite Freepanchenlama.org sammelt Hintergründe und neue Informationen.
Die neuen Entwicklungen wecken Hoffnung, dass die Suche nach dem rechtmäßigen Panchen Lama international wieder an Fahrt gewinnt. In diesem Fall wäre der heutige 30. Geburtstag doch noch ein Grund zum Feiern.
Last modified: 30. April 2019