Der tibetische Umweltaktivist A-Nya Sengdra wurde Ende 2019 in Tibet zu sieben Jahren Haft verurteilt. Jetzt soll seine Berufung vor einem Gericht in der Präfektur Guoluo verhandelt werden. In einem Schreiben fordern wir die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, dazu auf, sich um eine Freilassung A-Nya Sengdras zu bemühen und Prozessbeobachter zu seiner Berufungsverhandlung am 27. April zu entsenden.

A-Nya Sengdra ist ein tibetischer Nomade, der sich gegen Korruption und illegale Bergbauaktivitäten der chinesischen Regierung sowie gegen die illegale Jagd und Wilderei von bedrohten Tieren einsetzt. 2014 gründeten er und andere lokale tibetische Nomaden eine Organisation aus Freiwilligen namens „Mang Dhon Ling“ (Forum für öffentliche Angelegenheiten), um gegen Korruption und Machtmissbrauch durch lokale chinesische Beamte vorzugehen.
Im September 2018 wurde A-Nya Sendra verhaftet und 14 Monate lang unter menschenunwürdigen Bedingungen in Untersuchungshaft gehalten. Einer fadenscheinigen Anklage im Juli 2019 wegen „Provokation von Streitigkeiten“ und „Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung“ folgte Ende 2019 die Verurteilung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. A-Nya wird derzeit im Internierungslager des Drotsang Public Security Bureau im Drotsang County, Tshoshar (chinesisch: Ledu District, Haidong City), fast 600 km von seiner Heimatstadt in Golok entfernt, festgehalten.
Voraussichtlich am 27. April 2020 soll die Haftstrafe nun in einer Berufungsanhörung geprüft werden. Zu diesem Anlass fordern wir die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Dr. Bärbel Kofler (SPD), dazu auf, sich um eine sofortige Freilassung A-Nya Sendras zu bemühen und Prozessbeobachter zu seiner Berufungsverhandlung zu entsenden. Seine Verurteilung ist ganz offensichtlich politisch motiviert und steht in direkter Verbindung mit seinem politischen und menschenrechtlichen Engagement.
Um Unterstützung haben wir auch folgende Politiker gebeten:
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- Michael Brand (CDU)
- Margarete Bause (Bündnis 90 / Die Grünen)
- Frank Heinrich (CDU)
- Gyde Jensen (FDP)
Bisheriger Verlauf:
Am 4. September 2018 wurde A-Nya Sengdra von chinesischen Sicherheitsbeamten an einer Autobahnkreuzung in der autonomen tibetischen Präfektur Gade (Ch: Gande) Golok (Ch: Guoluo) in der tibetischen Provinz Amdo festgenommen und zusammen geschlagen. In den ersten 48 Tagen seiner Haft wurde A-Nya Sengdra der Zugang zu seinem Anwalt verweigert.
Am 22. Oktober 2018 konnte sich sein Anwalt endlich mit ihm treffen und berichtete, dass A-Nya Sengdra sich in einem äußerst schlechten Gesundheitszustand befand und aufgrund der schlechten Haftbedingungen stark an Gewicht verlor.
12. November 2018: Das Gande Public Security Bureau veröffentlichte eine Mitteilung, in der die Inhaftierung von A-Nya bis zum 12. Januar 2019 unter dem Verdacht „Streitigkeiten zu führen und Ärger zu provozieren“verlängert wird. Die Verlängerung wäre notwendig um die Untersuchung anderer „schwerwiegender krimineller Aktivitäten“ zu ermöglichen.
Am 4. Januar 2019 wurde die Haft von A-Nya Sengdra vom Gande Public Security Bureau verlängert – ohne Angabe von Gründen.
Am 16. Januar 2019 reichte der Anwalt von A-Nya Sengdra einen Antrag auf Kaution ein, der abgelehnt wurde.
Am 26. Juli 2019 wurde A-Nya Sengdra offiziell beschuldigt, „Streitigkeiten zu führen und Ärger zu provozieren“ und „Menschen zu versammeln, um die öffentliche Ordnung zu stören“ (Artikel 290 und Artikel 293 des chinesischen Strafrechts). Die Beweise beinhalteten WeChat-Protokolle zu verschiedenen Themen wie Korruption, Umweltschutz und Petitionen bezogen auf lokale Behörden. Neun weitere Tibeter aus dem Landkreis Golog wurden ebenfalls angeklagt, darunter A-Nya Sengdras Bruder Jimtri.
Vom 12. bis 15. Oktober 2019 fand ein dreitägiges Vorverfahren statt, bei dem sich A-Nya weigerte, sich schuldig zu bekennen.
Am Abend des 18. Oktober 2019 erhielt sein Anwalt Lin Qilei einen Anruf von der Fallmanagerin des Büros für öffentliche Sicherheit des Landkreises Gade, Dorje Tsering, die beantragte, eine Anklage wegen Betrugs in das Anklageblatt von A-Nya aufzunehmen. Laut Lin Qilei gab Dorje Tsering an, dass diese Anklage wegen Betrugs von den Staatsanwälten bei der Einreichung des Anklagebogens versehentlich weggelassen worden sei. Lin Qilei lehnte ab.
Am 19. November 2019 „twitterte“ der Anwalt von A-Nya Sengdra, dass es ein dreitägiges Treffen vor dem Prozess gegeben habe – https://twitter.com/lqllawyer/status/1196801204472254464?s=20. Er gab an, dass er gebeten wurde, einen Betrugsfall vorzustellen. Er fuhr fort, dass er besorgt ist, dass die Behörden versuchen, A-Nya Sengdra zusätzlich zu den Vorwürfen für die „Organisation eines Mobs zur Störung der sozialen Ordnung“ zu bestrafen.
Ende November 2019 starb Jimtri, der Bruder von A-Nya Sengdra, im Krankenhaus in Xining, Provinz Qinghai, nachdem er fast ein Jahr in Haft verbracht hatte. Der 54-jährige Jimtri wurde am 15. Dezember 2018 vom Büro für öffentliche Sicherheit in Gade County festgenommen und am 26. Juli 2019 beschuldigt, „Menschen versammelt zu haben, um die soziale Ordnung zu stören“. Das genaue Datum seines Todes und die Umstände, die dazu führten, wurden noch nicht transparent gemacht.
Am 5. Dezember 2019 begann der Prozess gegen A-Nya Sengdra und die anderen acht Angeklagten.
Am 6. Dezember wurde A-Nya Sengdra für schuldig befunden, „Menschen versammelt zu haben, um die öffentliche Ordnung zu stören“ und „Streitigkeiten zu führen und Ärger zu provozieren“. Die anderen acht Angeklagten wurden wegen ähnlicher Anschuldigungen zu Gefängnisstrafen verurteilt. A-Nya Sengdra wurde in das Gefängnis des Bezirks Machen in Golok gebracht. L
in Qilei traf im Januar 2020 A-Nya im Gefängnis. Lin Qilei erklärte, dass es ein weiteres Verfahren geben wird. Der Berufungsfall findet nun am 27. April statt.
UPDATE (Stand Juni 2020)
Die Berufungsanhörung wurde nun mit einiger Verspätung am 16. und 17. Juni 2020 vor dem Mittleren Volksgerichtshof der Präfektur Guoluo durchgeführt. Das Gericht entschied, „die Berufung abzuweisen und das ursprüngliche Urteil aufrechtzuerhalten“; eine schwerwiegende Ungerechtigkeit für einen weiteren unschuldigen Tibeter.
Darüber hinaus reiste die Familie von A-Nya Sendgra zur Anhörung, doch wurde ihr der Zugang zum Prozess verwehrt; eine weitere Verweigerung von Rechten, da dies ein offener Prozess hätte sein sollen und seine Familie hätte teilnehmen dürfen.
Am 19. Mai gaben fünf UN-Experten eine öffentliche Erklärung ab, in der sie China aufforderten, die Anklage gegen A-Nya Sendgra fallen zu lassen. Die Experten brachten ihre tiefe Besorgnis über „die Kriminalisierung der legitimen Arbeit“ von A-Nya Sengdra zum Ausdruck und betonten, dass sein Fall als Teil eines „umfassenderen Durchgreifens gegen tibetische“ Menschenrechtsverteidiger gesehen werden kann. Weiter forderten sie die chinesische Regierung dazu auf, sich an das Völkerrecht zu halten und „die Anklage gegen Herrn Sengdra“ aufzuheben.
Weiterführende Links:
https://www.tibet-initiative.de/umweltschutz-ist-kein-verbrechen/
Last modified: 5. März 2024